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Sauer macht nicht immer lustig

Text Johannes Reichl
Ausgabe 04/2016

Im Niederösterreichischen Landtag wurde in der Februarsitzung mit den Stimmen von ÖVP und Teilen des Teams Stronach eine Novellierung des NÖ Mindestsicherungsgesetzes beschlossen, wofür man von der Österreichischen Armutskonferenz mit der wenig schmeichelhaften Auszeichnung „Zitrone“ bedacht wurde.

Schon im Vorfeld machten die NGOs mobil. Die Diakonie etwa monierte prinzipiell die Eile, mit der das Gesetz überhaupt zustande kommen sollte. „Die Einbringung erfolgte im Landtag durch einen Initiativantrag, sodass der Gesetzesentwurf nicht einmal einer Begutachtung unterzogen wurde.“
Vor allem drei Kernbereiche wurden auf neue Beine gestellt bzw. – wie im Fall des Wohnzuschusses – auch nicht: Der Wohnkostenanteil wird, wie bislang, als Teil der Bedarfsorientierten Mindestsicherung angerechnet. Subsidiär Schutzbedürftige werden nun keine Mindestsicherung mehr erhalten, und die Verpflichtung zu „Maßnahmen, die die Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt fördern“, v.a. die Teilnahme an Deutschkursen, wurde festgeschrieben.
Die Sache mit dem Wohnzuschuss
Das „Neuaufrollen“ der nieder­österreichischen Praxis, den Wohnzuschuss auf den Wohnanteil der Mindestsicherung (aktuell 206,95 Euro) anzurechnen, wurde aufgrund eines Verwaltungsgerichtshof-Urteiles notwendig, das die Frage des „tatsächlichen Wohnbedarfes“ thematisierte. Man könne sozusagen keine Pauschalisierung vornehmen, sondern der „angemessene Wohnbedarf“ sei im Einzelfall entscheidend. Auslöser war die Beschwerde einer körperbehinderten Mindestsicherungsbezieherin gewesen, die einen höheren Wohnbedarf (etwa durch spezielle Einbauten u.ä.) reklamierte – und damit vom Verwaltungsgerichtshof recht bekam. Die ÖVP „antwortete“ mit einer Art „Antidiskriminierungsansatz“, also genau umgekehrt – es dürfe keine Unterschiede in der Förderung geben: Die Reparatur erklärt ÖVP-Abg. Bernhard Ebner folgendermaßen (siehe Interview S. 50): „Eine Nichtanrechnung des Wohnzuschusses auf den Betrag zur Deckung des Wohnbedarfes der Bedarfsorientierten Mindestsicherung würde bei manchen Mindestsicherungsbeziehern zu einer finanziellen Besserstellung führen.“ Dazu muss man freilich wissen, dass in Niederösterreich Mindestsicherungsbeziehern ohnedies nur in geförderten Wohnungen ein Wohnzuschuss gewährt wird. Eine Praxis, welche das Niederösterreischische Armutsnetzwerk seit je beanstandet und deshalb für die Umstellung von einer Objekt- auf eine Subjektförderung plädiert: „Es sollten also jene Personen einen Wohnkostenzuschuss erhalten, welche ein entsprechend geringes monatliches Haushaltsbudget zur Verfügung haben – unabhängig davon, ob sie in einem geförderten Wohnbau leben oder nicht“, so Obfrau Barbara Bühler. Zudem ist die Mindestsicherung in den Augen des Armutsnetzwerkes zur Deckung des täglichen Bedarfs gedacht – dass sie großteils zur Abdeckung des Wohnbedarfes herangezogen wird, sei so nicht im Sinne des Gesetzes. „Der Wohnkostenanteil ist so niedrig, dass es im Grunde unmöglich ist mit diesem Anteil eine Wohnung zu bezahlen. Als Armutsnetzwerk fordern wir daher schon lange eine Anhebung des Wohnanteils der Mindestsicherung auf die jeweils ortsübliche Miete.“
Für das Land Niederösterreich ist dieses Ansinnen aber a priori eine rote Linie, weil man fürchtet, dass die Sozialausgaben für die Mindestsicherung davon laufen. Seit der Einführung 2011 hat sich diese von 38 Millionen Euro auf fast 61 Millionen verdoppelt, Landtagsabgeordneter Anton Erber machte daher in der Sitzung auch kein Hehl aus der eigentlichen Stoßrichtung der Novellierung: „Das, was wir heute vorlegen und beschließen werden, ist eine Linie zur Sicherung des Sozialsystems!“
Im Hinblick auf die auch von der SPÖ (siehe Interview LR Androsch S. 52) und den Grünen vorgebrachten Kritik, rechnete Erber zwei Beispiele vor: So bleibe einer Einzelperson bei einer geförderten 50qm Wohnung ein Selbstbehalt von 41 Euro, einer vierköpfigen Familie in einer 90qm geförderten Wohnung 81 Euro. „Wir sind der Meinung, dass 838 Euro eine Grenze für die Mindestsicherung darstellen, und davon ist es zumutbar, dass man auch einen Teil – einen sehr bescheidenen Teil – für Wohnbedarf aufbringen kann.“ In manchen Bundesländern werden Leistungen der Wohnbauförderung in gewissen Fällen zusätzlich zur Mindestsicherung gewährt, abhängig vom tatsächlichen Wohnbedarf.
Keine Mindestsicherung für sudsidiär Schutzbedürftige
Auch der zweite Novellierungspunkt, subsidiär Schutzbedürftigen (die kein Asyl, aufgrund von z.B. Krieg, aber Schutz und ein Bleiberecht auf Zeit zuerkannt bekommen, Anm.) keine Mindestsicherung mehr zu gewähren, sorgte für hohe Wellen. Diese Personen fallen damit auf die Grundsicherung von 320 Euro zurück, aus Mitteln der allgemeinen Sozialhilfe sind sie ausgeschlossen. Betroffen sind aktuell rund 500 Personen in Niederösterreich. Die ÖVP zielt damit auf zwei Dinge ab: „Ein verschärftes Mindestsicherungsgesetz ist notwendig. Zum einen, um ein Signal auszusenden, Österreich als Zielland für Flüchtlinge unattraktiver zu machen, zum anderen aber auch, um unser Sozialsystem finanzierbar zu halten“, so Ebner.
Für die NGOs ein kurzsichtiger Sündenfall: „Jeder weiß, dass es unmöglich ist, mit 320 Euro eine Mietwohnung zu bezahlen, sich adäquat mit Lebensmitteln zu versorgen und sonstige Ausgaben zu tätigen. Delogierungen und vermehrte Obdachlosigkeit sind die voraussichtlichen Folgen“, ist Barbara Bühler überzeugt. Die vielfach strapazierte Forderung nach „Integration“ sieht sie ad absurdum geführt: „Damit Integration gelingen kann, müssen Menschen zumindest die Chance haben ihre Grundbedürfnisse zu decken. Der Bezug der Mindestsicherung bildet dahingehend das absolute Minimum.“ Gar einen Rechtsbruch ortet die Diakonie: „Tritt das neue Gesetz in Kraft, bricht es die Artikel 15a Vereinbarung zur Mindestsicherung, in der subsidiär Schutzbedürftige als Zielgruppe erfasst sind, und wird einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof wohl nicht standhalten. Gleichzeitig verletzt es Europarecht, da die EU-Gleichstellungsrichtlinie eine derartige Schlechterstellung von subsidiär Schutzbedürftigen nicht vorsieht.“
Forderung nach Deckelung
Schließlich wurde im Landtag auch eine Resolution eingebracht, die im Hinblick auf die kommenden Verhandlungen der Bund-Länder Vereinbarung (15a) zur Mindestsicherung eine Deckelung für Familien bei 1.500 Euro fordert sowie einen Vollanspruch erst, wenn man drei Jahre ins Sozialsystem einbezahlt hat. Auch diese Aspekte sind in den Augen des Armutsnetzwerkes unsozial. „Die Deckelung bedeutet für viele Familien, dass sie ihre Lebenshaltungskosten nicht mehr decken können. Aber nicht deswegen, weil die Mindestsicherungsleistung so hoch wäre, sondern weil Wohnen und Energie permanent teurer werden und die gesetzlichen Maßnahmen dagegen nicht greifen“, so Bühler, und betont: „Kinder brauchen Chancen und Perspektiven, um sich entwickeln zu können – eine Deckelung der Mindestsicherung für Familien nimmt ihnen diese.“
Die ÖVP konterte im Zuge der Landtagsdebatte und drehte den Spieß um: „Nur zu glauben, nichts zu tun, sich ums Budget nicht zu kümmern, das ist keine Zukunftsstrategie, sondern DAS ist in Wahrheit das Verbrennen der Zukunft unserer nächten Generationen“, so Abgeordneter Erber. Zudem müsse der Unterschied zwischen Arbeitseinkommen und Mindestsicherung groß genug sein, denn „Die Mindestsicherung muss ein Sprungbrett in das Berufsleben sein!“ Aus diesem Grund hat das Land Niederösterreich bereits im Vorjahr einen – von AMS-Chef Johannes Kopf gelobten – Wiedereinsteigerbonus eingeführt.
Für Barbara Bühler liegt das Problem aber nicht an einer etwaigen Arbeitsunwilligkeit, die man quasi durch höheren Druck bzw. geringere Unterstützung bekämpfen müsse, sondern schlicht an einer prekären Arbeitsmarktlage. „Solange in Niederösterreich aktuell 81.976 Jobsuchenden nur 4.046 gemeldete offene Stellen gegenüber stehen – also 20-mal so viele Menschen eine Arbeit suchen wie es offene Stellen gibt – kann ich nur sagen: das geht sich schlicht und einfach nicht aus!“ Und die suggerierte generelle Arbeitsunwilligkeit hält sie für eine Mär: „Ohne Erwerbsarbeit keine Leistungen aus der Arbeitslosen, Kranken- oder Pensionsversicherung. Man kann also davon ausgehen, dass grundsätzlich alle Bürger Österreichs sehr daran gelegen ist, eine Arbeit zu haben.“ Was sie eher durch ein Kürzen der Mindestsicherung heraufdämmern sieht, ist das Befeuern eines Niedriglohnsektors, welcher den gesamten Arbeitsmarkt in eine falsche Richtung zieht: „Die Dynamik am Arbeitsmarkt aus Angebot und Nachfrage und den Repressalien, die ein Mindestsicherungsbezieher zu erwarten hat, wenn er nicht jede zumutbare Arbeit annimmt, – bis hin zur 50%igen Kürzung seiner Leistung – schwächen letztlich die Position der Arbeitnehmer. Denn wenn der Druck Arbeit anzunehmen, und sei sie auch noch so gering entlohnt, sehr groß ist, fördert das die Entstehung eines Niedriglohnsektors. Die geringe Differenz von der Mindestsicherung zum Erwerbseinkommen ist also die Konsequenz von Erwerbseinkommen, die so gering sind, dass sie zum Leben kaum noch ausreichen! Verkürzt gesagt: Nicht die Mindestsicherung ist zu hoch, die Löhne sind zu niedrig.“
Die ÖVP sieht in jenen, welche am bisherigen Mindestsicherungsgesetz festhalten möchten oder gar Mindestlöhne fordern hingegen „Sozialromantiker“. „Die seit Jahren steigende Anzahl der Bezieher einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung führt zu einer großen Belas­tung für die öffentliche Hand. Wer das nicht wahrhaben will, betreibt Realitätsverweigerung.“
Die Realität selbst wird die Antwort geben, wessen Befürchtungen eintreffen.
NÖ ARMUTSNETZWERK
Das NÖ Armutsnetzwerk ist ein Netzwerk aus Organisationen und Einzelpersonen, das sich für Chancengleichheit und für die Probleme und Anliegen von armutsgefährdeten Personen einsetzt.
Zu den Organisationen zählen u.a. der Verein Wohnen, NÖBDS, Rotes Kreuz NÖ, Caritas St. Pölten, Katholische Aktion der Diözese St. Pölten, Emmausgemeinschaft St. Pölten, Frauenberatungstelle Waldviertel, PSZ GmbH, AK NÖ, Katholisches Bildungswerk, kbw, Diakonie Flüchtlingsdienst, Verein Soziale Initiative Gmünd, AUGE und Caritas der Diözese Wien.

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