„In diesem Bereich sind viele ‚Keiltreiber‘ unterwegs“
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Die SPÖ Niederösterreich hat mit der ÖVP ein Arbeitsübereinkommen, das bislang „brav“ eingehalten wurde. In der Frage der Mindestsicherung stellte sich die SPÖ in der Februar-Sitzung des Landtages aber seit langem wieder gegen den Partner und stimmte – mit Ausnahme verpflichtender Deutschkurse – gegen die Novellierung des NÖ Mindestsicherungsgesetzes. Wir sprachen mit Soziallandesrat Maurice Androsch (SPÖ) über mögliche (un-)erwünschte Wirkungen.
Die Mindestsicherung ist seit längerem ein vieldiskutiertes Thema – was ohne Zweifel auf ihren kontinuierlichen Anstieg seit Einführung zurückzuführen ist. Welche Faktoren haben diesen aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren bedingt?
Der Anstieg ist einerseits damit begründet, dass auch die Arbeitslosigkeit angestiegen ist. Andererseits, dass immer weniger Personen mit dem aktiven Arbeitseinkommen das Auskommen finden. Viele haben ein Arbeitseinkommen unter der Mindestsicherung – diese Menschen sind dann die sogenannten „Aufstocker“. Der dritte Aspekt ist natürlich, dass der Betrag auch immer inflationsangepasst werden muss, um den Menschen Wohnen und Essen einigermassen leistbar zu halten. Erklärend hinzugefügt werden muss, dass der absolute Betrag zwar stetig angestiegen ist, der prozentuelle Anteil im Verhältnis zu allen Ausgaben im Sozialbereich sich jedoch lediglich sehr moderat gesteigert hat.
Das Land Niederösterreich hat bereits im Vorjahr die Mindestsicherung novelliert. Insbesondere wurde ein Aspekt der Anreizförderung geschaffen, um Bezieher wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren – gibt es diesbezüglich schon Erfahrungen, ob dieses System funktioniert?
Durch den relativ kurzen Zeitraum, in dem der Anreiz bisher wirken konnte, sind hier noch keine seriösen Schlüsse zu ziehen. Da zurzeit auch der Arbeitsmarkt sehr angespannt ist und sich das Wirtschaftswachstum seit Jahren auf niedrigem Niveau befindet, muss die Nutzung dieses Anreizes auch im Verhältnis zur Arbeitsmarktsituation gestellt werden. Wir denken aber, dass dies einer von vielen Bausteinen ist, den Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Experten sagen, der aktuell vielfach suggerierte Sozialmissbrauch sowie die angebliche Arbeitsunwilligkeit seien verschwindend gering. Durch plakative Aussagen wird aber suggeriert, die arbeitsfähigen Mindestsicherungsbezieher seien arbeitsunwillig. Wie beurteilen Sie das?
Gerade in diesem Bereich sind sehr viele „Keiltreiber“ unterwegs, die diese Diskussion immer wieder hochstilisieren, weil ihr wahres Anliegen das nachhaltige Zerschneiden des sozialen Netzes ist. Ohne die Folgen zu bedenken, die ein sozialer Notstand mit sich bringen würde, wie Obdachlosigkeit und Mittellosigkeit, die zu unschönen Bildern auf unseren Straßen führen und gleichzeitig einen Anstieg an Kriminalität mit sich bringen würden. Natürlich gibt es, wie überall, „schwarze Schafe“ im niedrigen, einstelligen Prozentbereich, die es gilt herauszufiltern und Repressalien zu setzen, die auch bisher schon in Vollzug sind – wie etwa bei Arbeitsunwilligkeit die Leistung zu kürzen. Wir dürfen aber keine Einschnitte in unser soziales Netz erlauben, nur weil es 1, 2, 3, 4% gibt die nur die Annehmlichkeiten ausnutzen - denn es kann jeden treffen, der einmal seinen Arbeitsplatz verliert oder kurzfristig einen anderweitigen Schicksalsschlag erleidet.
In Niederösterreich wurde zuletzt – weil vom Verwaltungsgerichtshof beanstandet – eine „Reparatur“ des Mindestsicherungsgesetzes beschlossen. Kritiker sagen, das Gesetz wurde aber nicht im Sinne des Gerichts geändert, sondern die bisherige Praxis, die Wohnbeihilfe in die Mindestsicherung einzurechnen, festgeschrieben. Wie beurteilen Sie dies?
Die ÖVP hat hier auf eigene Faust einen Antrag eingereicht und mit ihrer Mehrheit abgestimmt, der das Verwaltungsgerichtshofsurteil nicht im Mindesten berücksichtigt. Gleichzeitig hat die absolute schwarze Mehrheit auch eine Richtlinie seitens des Landesratsbüros ignoriert, die sehr wohl das VwGH-Urteil widergespiegelt hat. Dies war Machtdemonstration auf dem Rücken der Schwächsten unserer Gesellschaft.
Gerade die Wohnkosten sind, wie die Experten ausführen, die großen Treiber und „fressen“ zusehends die Mindestsicherung auf. Wie begegnet man diesem Umstand seitens des Landes?
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wir sehen das seit Jahren, in einigen Gebieten stärker, in anderen schwächer, aber der Trend geht dahin, dass die Wohnkosten einen Großteil der Mindestsicherung „auffressen“. Diese Situation ist durch den Beschluss der ÖVP noch prekärer geworden. Wir werden uns sehr genau ansehen müssen, wie der ÖVP-Beschluss sich auf die reale Situation auswirkt und dann Maßnahmen zur Gegensteuerung ergreifen – wir hoffen dabei auch auf so rasche Beschluss-Situation, wenn wir reparieren müssen, weil wir durch die Umsetzung Armut und Obdachlosigkeit erzeugen, wie wir die ÖVP gewarnt haben.
Der Landtag hat in seiner letzten Sitzung auch eine Resolution an den Bund beschlossen, demnach es zu einer Deckelung – die ÖVP fordert maximal 1.500 Euro – der Mindestsicherung bei Mehrpersonenhaushalten kommen soll. Könnte sich dies nicht als kurzsichtig erweisen, weil dadurch Armut sozusagen noch fester implementiert wird?
Sie nehmen mir die Antworten quasi vorweg. Ja – unsere Befürchtung ist, dass mit diesem Schritt Armut erzeugt wird und Menschen an den Rande ihrer Existenz gedrängt werden. Bei der Deckelung kommt außerdem noch hinzu, dass massiv Kinder, und damit die Chancen unseres Nachwuchses, davon betroffen sein werden und sich diese Armut nachhaltig generationenübergreifend manifestiert.
In der Resolution wurde mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ ebenso gefordert, dass jene, die nicht bereits drei Jahre ins System einbezahlt haben, prozentuell geringere Leistungen erhalten sollen – was eindeutig auf Flüchtlinge und subsidiär Schutzbedürftige abzielt. Was könnte dies nach sich ziehen?
Natürlich zielt diese Maßnahme in erster Linie auf die Schutzsuchenden ab, kann aber natürlich auch viele Österreicher treffen – denn Schulabgänger, die keinen Job finden, wären beispielsweise auch Menschen, die noch nie ins Sozialsystem eingezahlt haben. Dagegen gilt es aufzustehen – die rechts-konservativen Kräfte in unserem Land versuchen gerade unser Sozialsystem, das uns stets sozialen Frieden, der zur Selbstverständlichkeit geworden ist, gebracht hat, nachhaltig zu zerstören. Da kommt die Flüchtlingssituation gerade recht, um praktisch einen Schuldigen gefunden zu haben und munter Keile in die Gesellschaft treiben zu können. Diese Maßnahme würde Armut, Obdachlosigkeit und hungernde Menschen erzeugen und der soziale Friede schiene ernsthaft in Gefahr.
Besteht im Fall von Flüchtlingen und subsidiär Schutzbedürftigen, die aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht so rasch in den Arbeitsprozess einzugliedern sein werden, nicht die Gefahr, diese auf Sicht durch eine radikale Reduktion der Leistungen in die Obdachlosigkeit zu drängen und damit einer Radikalisierung, möglicherweise auch Kriminalisierung Vorschub zu leisten?
Ja. Selbstverständlich erzeugt man damit Kriminalität und damit einhergehend Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung. Das soziale Netz muss jetzt verteidigt werden – andere Nationen und Regionen Europas haben vorgezeigt, wie man´s nicht macht und man durch Mittellosigkeit und Chancenlosigkeit am Arbeitsmarkt Kriminalität erzeugt. Integrationsminister Kurz soll bei einem kurzen Zwischenstopp in Österreich, während seiner Scharfmacher-Tour in Europa, endlich dafür sorgen, dass Deutschkurse in benötigter Quantität und Qualität flächendeckend vorhanden sind. Deutsch, ab dem ersten Tag, ist der Schlüssel zur erfolgreichen Integration.
Sie treten dafür ein, dass die Mindestsicherung gänzlich in Bundeskompetenz überführt wird – warum?
Vorteil der Bundeskompetenz wäre eine einheitliche, rechtlich abgesicherte Vorgangsweise. Länder würden nicht Flickwerk und unterschiedliche Höhen erzeugen, womit weitergehend wiederum „Sozial-Tourismus“ innerhalb Österreichs Platz greift. Wir wollen, dass sich Leute, die vorübergehend auf unser soziales Netz angewiesen sind, ihr Dach über den Kopf und Verpflegung dazu von Vorarlberg bis ins Burgenland leisten können, niemand auf der Straße steht und Kriminalität Tür und Tor geöffnet wird.
Der Anstieg ist einerseits damit begründet, dass auch die Arbeitslosigkeit angestiegen ist. Andererseits, dass immer weniger Personen mit dem aktiven Arbeitseinkommen das Auskommen finden. Viele haben ein Arbeitseinkommen unter der Mindestsicherung – diese Menschen sind dann die sogenannten „Aufstocker“. Der dritte Aspekt ist natürlich, dass der Betrag auch immer inflationsangepasst werden muss, um den Menschen Wohnen und Essen einigermassen leistbar zu halten. Erklärend hinzugefügt werden muss, dass der absolute Betrag zwar stetig angestiegen ist, der prozentuelle Anteil im Verhältnis zu allen Ausgaben im Sozialbereich sich jedoch lediglich sehr moderat gesteigert hat.
Das Land Niederösterreich hat bereits im Vorjahr die Mindestsicherung novelliert. Insbesondere wurde ein Aspekt der Anreizförderung geschaffen, um Bezieher wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren – gibt es diesbezüglich schon Erfahrungen, ob dieses System funktioniert?
Durch den relativ kurzen Zeitraum, in dem der Anreiz bisher wirken konnte, sind hier noch keine seriösen Schlüsse zu ziehen. Da zurzeit auch der Arbeitsmarkt sehr angespannt ist und sich das Wirtschaftswachstum seit Jahren auf niedrigem Niveau befindet, muss die Nutzung dieses Anreizes auch im Verhältnis zur Arbeitsmarktsituation gestellt werden. Wir denken aber, dass dies einer von vielen Bausteinen ist, den Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Experten sagen, der aktuell vielfach suggerierte Sozialmissbrauch sowie die angebliche Arbeitsunwilligkeit seien verschwindend gering. Durch plakative Aussagen wird aber suggeriert, die arbeitsfähigen Mindestsicherungsbezieher seien arbeitsunwillig. Wie beurteilen Sie das?
Gerade in diesem Bereich sind sehr viele „Keiltreiber“ unterwegs, die diese Diskussion immer wieder hochstilisieren, weil ihr wahres Anliegen das nachhaltige Zerschneiden des sozialen Netzes ist. Ohne die Folgen zu bedenken, die ein sozialer Notstand mit sich bringen würde, wie Obdachlosigkeit und Mittellosigkeit, die zu unschönen Bildern auf unseren Straßen führen und gleichzeitig einen Anstieg an Kriminalität mit sich bringen würden. Natürlich gibt es, wie überall, „schwarze Schafe“ im niedrigen, einstelligen Prozentbereich, die es gilt herauszufiltern und Repressalien zu setzen, die auch bisher schon in Vollzug sind – wie etwa bei Arbeitsunwilligkeit die Leistung zu kürzen. Wir dürfen aber keine Einschnitte in unser soziales Netz erlauben, nur weil es 1, 2, 3, 4% gibt die nur die Annehmlichkeiten ausnutzen - denn es kann jeden treffen, der einmal seinen Arbeitsplatz verliert oder kurzfristig einen anderweitigen Schicksalsschlag erleidet.
In Niederösterreich wurde zuletzt – weil vom Verwaltungsgerichtshof beanstandet – eine „Reparatur“ des Mindestsicherungsgesetzes beschlossen. Kritiker sagen, das Gesetz wurde aber nicht im Sinne des Gerichts geändert, sondern die bisherige Praxis, die Wohnbeihilfe in die Mindestsicherung einzurechnen, festgeschrieben. Wie beurteilen Sie dies?
Die ÖVP hat hier auf eigene Faust einen Antrag eingereicht und mit ihrer Mehrheit abgestimmt, der das Verwaltungsgerichtshofsurteil nicht im Mindesten berücksichtigt. Gleichzeitig hat die absolute schwarze Mehrheit auch eine Richtlinie seitens des Landesratsbüros ignoriert, die sehr wohl das VwGH-Urteil widergespiegelt hat. Dies war Machtdemonstration auf dem Rücken der Schwächsten unserer Gesellschaft.
Gerade die Wohnkosten sind, wie die Experten ausführen, die großen Treiber und „fressen“ zusehends die Mindestsicherung auf. Wie begegnet man diesem Umstand seitens des Landes?
Dem ist nichts hinzuzufügen. Wir sehen das seit Jahren, in einigen Gebieten stärker, in anderen schwächer, aber der Trend geht dahin, dass die Wohnkosten einen Großteil der Mindestsicherung „auffressen“. Diese Situation ist durch den Beschluss der ÖVP noch prekärer geworden. Wir werden uns sehr genau ansehen müssen, wie der ÖVP-Beschluss sich auf die reale Situation auswirkt und dann Maßnahmen zur Gegensteuerung ergreifen – wir hoffen dabei auch auf so rasche Beschluss-Situation, wenn wir reparieren müssen, weil wir durch die Umsetzung Armut und Obdachlosigkeit erzeugen, wie wir die ÖVP gewarnt haben.
Der Landtag hat in seiner letzten Sitzung auch eine Resolution an den Bund beschlossen, demnach es zu einer Deckelung – die ÖVP fordert maximal 1.500 Euro – der Mindestsicherung bei Mehrpersonenhaushalten kommen soll. Könnte sich dies nicht als kurzsichtig erweisen, weil dadurch Armut sozusagen noch fester implementiert wird?
Sie nehmen mir die Antworten quasi vorweg. Ja – unsere Befürchtung ist, dass mit diesem Schritt Armut erzeugt wird und Menschen an den Rande ihrer Existenz gedrängt werden. Bei der Deckelung kommt außerdem noch hinzu, dass massiv Kinder, und damit die Chancen unseres Nachwuchses, davon betroffen sein werden und sich diese Armut nachhaltig generationenübergreifend manifestiert.
In der Resolution wurde mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ ebenso gefordert, dass jene, die nicht bereits drei Jahre ins System einbezahlt haben, prozentuell geringere Leistungen erhalten sollen – was eindeutig auf Flüchtlinge und subsidiär Schutzbedürftige abzielt. Was könnte dies nach sich ziehen?
Natürlich zielt diese Maßnahme in erster Linie auf die Schutzsuchenden ab, kann aber natürlich auch viele Österreicher treffen – denn Schulabgänger, die keinen Job finden, wären beispielsweise auch Menschen, die noch nie ins Sozialsystem eingezahlt haben. Dagegen gilt es aufzustehen – die rechts-konservativen Kräfte in unserem Land versuchen gerade unser Sozialsystem, das uns stets sozialen Frieden, der zur Selbstverständlichkeit geworden ist, gebracht hat, nachhaltig zu zerstören. Da kommt die Flüchtlingssituation gerade recht, um praktisch einen Schuldigen gefunden zu haben und munter Keile in die Gesellschaft treiben zu können. Diese Maßnahme würde Armut, Obdachlosigkeit und hungernde Menschen erzeugen und der soziale Friede schiene ernsthaft in Gefahr.
Besteht im Fall von Flüchtlingen und subsidiär Schutzbedürftigen, die aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht so rasch in den Arbeitsprozess einzugliedern sein werden, nicht die Gefahr, diese auf Sicht durch eine radikale Reduktion der Leistungen in die Obdachlosigkeit zu drängen und damit einer Radikalisierung, möglicherweise auch Kriminalisierung Vorschub zu leisten?
Ja. Selbstverständlich erzeugt man damit Kriminalität und damit einhergehend Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung. Das soziale Netz muss jetzt verteidigt werden – andere Nationen und Regionen Europas haben vorgezeigt, wie man´s nicht macht und man durch Mittellosigkeit und Chancenlosigkeit am Arbeitsmarkt Kriminalität erzeugt. Integrationsminister Kurz soll bei einem kurzen Zwischenstopp in Österreich, während seiner Scharfmacher-Tour in Europa, endlich dafür sorgen, dass Deutschkurse in benötigter Quantität und Qualität flächendeckend vorhanden sind. Deutsch, ab dem ersten Tag, ist der Schlüssel zur erfolgreichen Integration.
Sie treten dafür ein, dass die Mindestsicherung gänzlich in Bundeskompetenz überführt wird – warum?
Vorteil der Bundeskompetenz wäre eine einheitliche, rechtlich abgesicherte Vorgangsweise. Länder würden nicht Flickwerk und unterschiedliche Höhen erzeugen, womit weitergehend wiederum „Sozial-Tourismus“ innerhalb Österreichs Platz greift. Wir wollen, dass sich Leute, die vorübergehend auf unser soziales Netz angewiesen sind, ihr Dach über den Kopf und Verpflegung dazu von Vorarlberg bis ins Burgenland leisten können, niemand auf der Straße steht und Kriminalität Tür und Tor geöffnet wird.