MFG - Wer war Otto Prokop?
Wer war Otto Prokop?


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St. Pöltens gute Seite

Wer war Otto Prokop?

Text Lukas Kalteis
Ausgabe 03/2023

Arzt, Forscher, Sportler. Otto Prokops Leben war gezeichnet von Superlativen. Als charismatischer Gerichtsmediziner obduzierte der gebürtige St. Pöltner an der Charité Berlin fast 50.000 Leichen und avancierte mit seinen spektakulären Forschungen zum Star in der DDR sowie zum heutigen Liebling der Truecrime-Szene. Dass der Mediziner aus der bekannten St. Pöltner Prokop-Dynastie stammte, geriet hierzulande jedoch in Vergessenheit. Versuch einer Erinnerung von Lukas Kalteis.


Kinder- und Jugendjahre in St. Pölten
Geboren wurde Otto Prokop am 29. September 1921 als zweiter Sohn von Ludwig sen. und Elfriede Prokop in St. Pölten. Sein Vater stammte aus dem Egerland (Böhmen), zog jedoch schon im Alter von acht Jahren nach Niederösterreich und arbeitete später im St. Pöltner Krankenhaus und als Zahnarzt. Seine Mutter Elfriede war Malerin, die mit einem Staatspreis für Kunst ausgezeichnet wurde. Die Ehe hielt allerdings nicht lange und Ludwig sen. heiratete erneut. 
Bis zur dritten Klasse Gymnasium absolvierte Prokop seine Schulkarriere in St. Pölten, wobei ihm – wie seinen Geschwistern – vor allem der Sport wichtig war. Eine besondere Leidenschaft entwickelte er dabei zum Schwimmen, das er Zeit seines Lebens ausübte, außerdem galt er bereits in seiner Kindheit als talentierter Wasserkunstspringer. Die Prokop-Kinder, für die Disziplin immer eine Tugend war, verstanden zugleich in den krisengebeutelten Dreißiger- und Vierzigerjahren auch zu feiern. Das Anwesen der Familie Prokop am Hammerweg 2 war berühmt berüchtigt für seine sogenannten Bottle-Partys, bei denen die Besucherinnen und Besucher ihre Getränke selbst mitnahmen und tanzten.

Springerstiefel statt Laborkittel
Vor der Matura zog es Otto nach Salzburg, wo er 1940 die Reifeprüfung ablegte. Im selben Jahr begann er, auf Wunsch des Vaters, wie sein älterer Bruder Ludwig ein Medizinstudium an der Universität in Wien. Mittendrin musste der junge Mann den Arztmantel gegen die Uniform eintauschen und wurde zur Wehrmacht eingezogen, wo er als Soldat im Sanitätskorps an Gefechten in der heutigen Ukraine beteiligt war. Im November 1941 wurde der 20-jährige Student bei einem Fliegerangriff verwundet. Insgesamt zwei Mal musste der angehende Arzt selbst im Lazarett behandelt werden, bevor er zu Kriegsende in US-amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Seine Großeltern, laut dem Enkel „bloß deutschnational gesinnt, nicht etwa Nazis“ begingen angeblich aus Angst vor der Besatzung Selbstmord. Die Erinnerungen an diese Schrecken ließen Prokop zeitlebens nie wieder los.
Nach dem Krieg absolvierte Prokop die letzten Semester seines Medizinstudiums an der Universität in Bonn. Er wollte Augenarzt werden, bekam jedoch nur die Note „gut“ auf die Prüfung in Augenheilkunde. Dadurch verwarf er seine Pläne und kam erstmals mit der Gerichtsmedizin in Kontakt. Einer seiner Professoren erkannte seine besonderen Fähigkeiten für Fotografie und begeisterte den wissbegierigen Studenten für die Pathologie. 
1948 promovierte Prokop schließlich in Bonn. Seine Doktorarbeit trug den ausgefallenen Titel „Mord mit Tierhaaren“. Darin untersuchte er Morde, bei denen Opfern Tierhaare ins Essen gemischt wurden, die über die Zeit den Darm massiv schädigten. In einem Fall streute eine Frau ihrem Gatten etwa absichtlich kleingeschnittene Rosshaare aufs Butterbrot und brachte ihn damit schlussendlich um. In der Folge wurde Prokop mit einer experimentellen Untersuchung zu Blutgruppenantigenen in Bonn habilitiert und hielt erste Vorlesungen. 

Mord war sein Hobby 
1957 folgte Prokop dem Ruf an die Humboldt-Universität Berlin. In der Stadt an der Spree bekam er mit Mitte 30 einen prestigeträchtigen Lehrstuhl für das Fach „Gerichtliche Medizin“ und wurde Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Charité, das bis zu seiner Pensionierung 1987 sein zweites Zuhause wurde. Selbst an Wochenenden zog es den Professor ins Büro und den Seziersaal, wo er unablässig forschte und bis spät nachts arbeitete.
Poltischen Verwicklungen in der DDR versuchte er zu entgehen, kam aber dennoch nicht daran vorbei. In der Nacht auf Sonntag, den 13. August 1961 änderte sich nicht nur die politische Lage zwischen Ost und West, sondern auch das Leben Otto Prokops nachhaltig. Die DDR riegelte Ostberlin vom Westen ab und die Charité befand sich plötzlich im unmittelbaren Grenzgebiet an der Mauer. Ärztinnen und Ärzte sowie medizinisches Personal flüchteten scharenweise kurz vor der Schließung in den Westen, doch der Österreicher blieb und unterzeichnete eine Loyalitätsbekundung. Prokop hatte sich mit seiner aus Bonn stammenden Frau Wilhelmine in Ostberlin ein gemeinsames Leben aufgebaut. Außerdem erwarteten die beiden nur wenige Wochen nach dem Mauerbau ihr zweites Kind. 
Die sogenannten „Mauertoten“, die bei ihrem Versuch in den Westen zu flüchten von Grenzern getötet wurden, landeten häufig auf dem Seziertisch von Otto Prokop. Ein politisch brisanter Fall betraf etwa den Tod eines Westdeutschen, der 1983 von DDR-Grenzern zu Schmuggeldelikten befragt wurde und an einer Kopfverletzung verstarb – der Verdacht eines gewaltsamen Todes stand im Raum, was zu politischen Spannungen zwischen Ost und West führte. Otto Prokop konnte durch Experimente schließlich nachweisen, dass der Mann ohne Fremdeinwirkung an einer Herzattacke verstorben war und die Verletzungen von einem Sturz auf den Heizkörper stammten.

Mit Schirm, Charme und Pistole
Otto Prokops Markenzeichen war eine Fliege unter seinem weißen Laborkittel (auch sein Bruder Ludwig war als Mascherl-Träger berühmt). Er wusste sich auch abseits der Universität elegant in Szene zu setzen und begeisterte als charismatischer Doyen der Gerichtsmedizin nicht nur Studentinnen und Studenten, sondern alsbald auch die breite Öffentlichkeit. Die Hörsäle waren sogar an Sonntagen oft zum Bers­ten voll, wenn Otto Prokop für ein breites Publikum über abscheuliche Verbrechen und deren Aufklärung vortrug. Auch in den Medien wurde gerne über den charmanten Professor und seine maßgeblichen Gutachten bei Prozessen berichtet. Prokop hinterließ der Nachwelt mehrere Standardwerke zur Gerichtsmedizin, Fortschritte in der Vaterschaftsbestimmung und kämpfte vehement gegen Homöopathie und Erdstrahlengläubige. 
Beinahe Legendenstatus bekamen seine Lehrfilme über Leichenfäulnis, die Prokop für Kriminalbeamte an der Charité anfertigte. Die als „Horrorfilme“ verschrienen Dokumentationen verließen selbst hartgesottene Kriminalisten mit fahlem Gesicht und einem flauen Gefühl im Magen. Nicht wenige mussten gar noch vor Ende der Vorführung überstürzt zur Toilette laufen.
Auf der Suche nach Tätern war Prokops Zugang „Wenn das Herz klopft, steht der Verstand still“. Stresssituationen führten zu Fehlern, war er überzeugt, und genau das nutzte er, um Mördern und Verbrechern mittels nüchterner Betrachtung der Fakten und Experimenten auf die Schliche zu kommen. 
Nachdem „Das Böse“ Menschen seit jeher fasziniert, avancierte Otto Prokop mit seiner Arbeit auch zu einem Star der True Crime Fans. Der deutsche Kriminalbiologe und „Forensik-Rocker“ Mark Benecke etwa verfasste als bekennender Otto Prokop Fan diverse Bücher über sein Idol. 2021 wurde Prokop zudem gar zum „Filmstar“. In der dritten Staffel der Fernsehserie „Charité“ schlüpfte Philipp Hochmair in die Rolle des charismatischen Professors.
Die Bande zu seiner Familie und St. Pölten rissen nie ab. „Zu Weihnachten mussten immer alle Familienmitglieder zu Hause in St. Pölten antreten, egal wo sie lebten. Da führte unser Vater ein strenges Regime. Otto fuhr dann immer im Porsche vor“, erinnert sich der 19 Jahre jüngere Bruder Gunnar Prokop.

Das Stadtmuseum St. Pölten erinnert aktuell mit einer kleinen Dokumentation an den berühmten St. Pöltner, noch zu sehen bis April. 


FAMILIE MIT DEM ÜBERFLIEGER-GEN

Der DDDDr. & der Handball-Star

Der Name Prokop ist der Region um St. Pölten kein unbekannter. Nicht nur Otto, sondern fast alle Familienmitglieder standen durch ihre Erfolge in der Öffentlichkeit.

Der Großvater
Ottos Großvater väterlicherseits, Josef Prokop (1868-1937), zog um die Jahrhundertwende aus Böhmen nach St. Pölten, wo er zum Stadtbaudirektor ernannt wurde. Unter anderem wirkte der Architekt entscheidend beim Bau des Elektrizitätswerkes im Hammerpark, dem Reithallenkino, der Daniel-Gran-Volksschule und dem Straßenbahnbau mit. 

Die Geschwister
Bruder Ludwig Prokop war Sportmediziner und erlangte als vierfacher Doktor sowie als „Dopingjäger“ internationale Bekanntheit.
Heinz Prokop war ebenfalls Doktor, der als forensischer Psychiater, Gutachter und Sachverständiger fungierte.
Gunnar Prokop, der Halbbruder aus der zweiten Ehe von Vater Ludwig sen., wurde als Leichtathletik-Trainer seiner Frau Liese sowie Schwägerin Maria Sykora bekannt, die er zu diversen internationalen Titeln führte, ebenso wie die Damen des Handball-Vereins Hypo Niederösterreich, den er mitbegründet hatte. 
Heidi Prokop erzielte beachtliche Erfolge als Turnerin und heiratete den St. Pöltner Baumeister Julius Eberhardt und widmete ihre Freizeit als Vorständin der Sportunion.