MFG - Helden der Nacht
Helden der Nacht


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Helden der Nacht

Text Althea Müller
Ausgabe 12/2008

Wenn andre bereits ihren Kaffeebecher abwaschen und den Kollegen einen schönen Nachmittag wünschen, treten sie erst ihren Dienst an. Wenn andre ihren Schreibtisch aufräumen und sich auf einen netten Abend freuen, strecken sie sich mal richtig durch und werfen sich in die nächste Runde. Und wenn sich andre wohlig unter ihrer Bettdecke fläzen, machen sie grad mal Pause am Snackautomaten. Die Rede ist von unseren Nachtarbeitern, Schichtlern, Spätdienstlern. Wir haben einige davon in ganz St. Pölten besucht.

Für Geld tun Studenten ja alles – zum Beispiel sich neun Monate lang an eine Kinokassa setzen. Ich habe es gewagt. Und gesehen: Eine Zeitlang ist es ganz lustig. Von 14 bis 23 Uhr im Kino zu sein. Die Mittagspause auf 18 Uhr zu legen. Vom Glaskasten aus der Sonne beim Untergehen zuzusehen. Und den Gästen dabei, wie sie Spaß haben, während man selbst keine Zeit mehr für Freunde, Shopping oder – Kino findet. Kultig war’s trotzdem: Mit der Lieblingskollegin nach Dienstschluss in der Spielhalle noch einen Kaffee zu trinken oder mit dem Pärchen aus der Pizzeria übers Leben zu philosophieren. Um Mitternacht heim zu düsen, die Katzen viel zu spät zu füttern und dafür bis mittags zu schlafen.
Aber kann man so ein Leben im Finstern wirklich länger aushalten? Und wenn ja – wie? Und wo liegt da der Reiz? Ich möchte es rausfinden und suchte die creatures of night auf.
Queen of DVDs
Seit 1999 arbeitet Steffi in der Videothek im Süden St. Pöltens: Montag bis Samstag von 10 bis 22 Uhr, sonntags von 12 bis 19:30 Uhr. Einen halben Tag pro Woche hat sie frei.
Hast du denn überhaupt irgendein Privatleben?
Ab und zu bitte ich meine Aushilfe Brigitte, ob sie ein Wochenende für mich übernimmt. Ansonsten ist das mit dem Privaten schon eher schwierig – es geht sich fast nix aus. Aber ich habe ja Unterstützung – mein Freund ist immer für mich da, vor allem unter der Woche, wenn ich keine Zeit für so Alltägliches wie z.B. Einkaufen finde.
Wie sind die Kunden später am Abend so drauf? Sind das nicht echte Hängenbleiber?
Überhaupt nicht. Hängenbleiben und tratschen tun sogar eher die Kunden untertags! Nachts sind die Leute viel gemütlicher und entspann-ter.
Wie geht das Videothekengeschäft? Ist dir nicht manchmal irre fad?
Es läuft gut! Langeweile kommt nur dann auf, wenn hier in der Umgebung ein großes Festival oder Match ist. Na gut – während der EM war’s schon wirklich fad. Aber da ging’s ja fast allen so, die nichts mit Fußball zu tun hatten.
Ist dir während eines Nachtdienstes mal was besonders Positives passiert?
Erst letztes Wochenende sogar – ich war total verkühlt und grippig im Anfangsstadium und hab entsprechend ausgesehen. Da kam ein Kunde – kein Stammkunde – und hat angeboten, in der Nachtapotheke was zu holen, damit ich den restlichen Abend überstehe. Da war ich schon sehr überrascht. Es hat dann länger gedauert und ich dachte, ok, der kommt eh nicht mehr. Aber dann ist er doch plötzlich wieder da gestanden – grinsend und mit Aspirin Complex! Damit ist das Arbeiten wirklich viel besser gegangen und ich hab damit sogar die ganze Krankheit gleich abgefangen: Am nächsten Tag hatte ich wieder Dienst und war fast wieder komplett gesund! Also die Aktion fand ich wirklich total nett. Vor allem, weil die Hilfe von einem völlig Fremden gekommen ist.

Freiwillig im Adrenalinrausch
Bianca (28) hat rund fünf Jahre lang ehrenamtlich für die Rettung gearbeitet.
Wie kommt man auf diese Idee?
Damals habe ich die Krankenpflegeschule besucht, von daher war das medizinische Interesse da. Außerdem waren einige meiner Bekannten auch dort.
Spannend?
Anfangs war’s eher unspektakulär. Du bist sogenannter „2. Sani“ und darfst nur auf Dialysefahrten etc. mit. Erst als ich die Rettungssanitäter-Ausbildung abgeschlossen hatte und als „1. Sani“ zur Rettung nach St. Pölten wechselte, wurde es spannend – dort waren ja auch viel mehr junge Leute als bei der Dienststelle in dem kleinen Ort, wo ich vorher war.
Wie hat ein typischer Bereitschaftsdienst ausgesehen?
Ein Nachtdienst hat ca. von 19 bis 6 Uhr gedauert. Jedes Team hatte einen eigenen Schlafraum auf der Dienststelle. Wenn es eine Fahrt gab, wurden wir über Pager bzw. SMS informiert. Danach gab’s nur noch: Aufspringen, raus und losfahren!
Hast du viel aus der Zeit mitgenommen?
Es war schon toll – dass das Team so eingespielt war, jeder Handgriff gesessen hat. Fachlich war’s natürlich auch interessant.
Was war weniger schön?
Alko-„Leichen“ aufzulesen war regelmäßig echt mühsam.
Wie waren die Leute dann zu euch?
Die waren meistens schon bewusstlos, wenn wir gekommen sind. Vorher ruft ja keiner die Rettung – immer erst, wenn die sich gar nicht mehr rühren können…
Du hattest da ja mal einen besonders grausamen Dienst…
Ja, der Unfall in der Wasserburger Au. Das werde ich nie vergessen. Sieben oder acht Jugendliche hatten sich in ein Auto gequetscht – alle betrunken. Damit haben sie dann einen schweren Unfall gebaut. Es war tragisch, weil nur drei oder vier der jungen Leute gerettet werden konnten.
Der Dienst ist freiwillig. Gibt es trotzdem so eine Art Supervision grad in solchen Situationen?
Natürlich gibt es von der Rettung aus speziell geschulte Mitarbeiter, mit denen man reden kann, wenn man mit etwas seelisch nicht zurecht kommt. Ich habe mich damals mit meinen Kollegen ausgetauscht, das hat auch geholfen.
Was hat dir dein regelmäßiger Bereitschaftsdienst damals bedeutet?
Es gab Zeiten mit Suchtpotential – da hast du den Kopf echt nur noch bei der Rettung, bei deinem Team. Du machst sehr viele Dienste in dieser Zeit. Ich weiß, dass das nicht nur bei mir so gelaufen ist, sondern auch bei allen anderen: Dass dir direkt fad ist, wenn du mal einen ganzen Tag und Abend frei hast und daheim bist… Aber bei mir persönlich hat sich das dann langsam aufgehört – ich hatte ja dann meine Ausbildung abgeschlossen und einen Job auf der Intensivstation. Das war dann genug Nachtdienst, Adrenalin, Kribbeln und Aufregung – die Rettung daneben ging sich zeitlich irgendwann nicht mehr aus.
Treffpunkt Tanke
Martin (35) ist seit mehr als zehn Jahren in der BP beim Stattersdorfer Kreisverkehr angestellt. Er übernimmt v. a. die Spätdienste – das heißt, in der Regel Dienst von 14 bis 24 Uhr und 2 Tage pro Woche frei…
Nachdem du schon so lange dabei bist – wo siehst du den Vorteil deiner Arbeit?
Ganz einfach: Ich bin kein Morgenmensch und schlafe gerne länger. Und nachts ist immer was los – bis etwa 20 Uhr läuft das Tank geschäft, danach gibt es viele andre Dinge zu erledigen. Wir müssen unsere Filiale ja ständig sauber halten, Ordnung schaffen, uns ums frische Gebäck kümmern…
Wie ist dein nächtliches „Publikum“ im Vergleich zum Tagesgeschäft?
Abends kommen vor allem Taxifahrer, Schichtarbeiter, Krankenhaus-Mitarbeiter, die sich bei uns eine Jause holen bzw. auf einen Kaffee, ein Bier vorbeikommen. Natürlich sind da eher Stammkunden dabei, die man sich merkt – abends und nachts reden die Menschen ja oft gern, auch mal über ihre Sorgen…
Also keine unguten Rüpeleien?
Im Gegenteil. Wir haben hier allgemein ein angenehmes Klima und auch später am Abend kommen wir mit den Kunden gut aus – es ist ruhig und friedlich. Und mittlerweile habe ich durch die Arbeit natürlich mit dem einen oder anderen Freundschaft geschlossen, da geht man dann auch privat mal gemeinsam weg.
Stichwort Weggehen – ich stelle mir grad vor: Samstag, Mitternacht, Dienstschluss. Da sind doch die andren alle schon unterwegs. Gehst du dann trotzdem noch aus?
Ich bin aus dem Alter draußen, wo ich jeden Freitag und Samstag unbedingt am Flug sein muss. Außerdem habe ich jedes zweite Wochenende sowieso frei. Wenn ich aber also samstags erst um Mitternacht frei habe, fahre ich halt heim, schaue fern und gehe schlafen. Ganz normal.
Gibt es auch was Negatives an einem Arbeitsrhythmus wie deinem?
Ich bin solo, könnte mir aber vorstellen, dass es von den Zeiten her sicher schwieriger sein kann, eine Beziehung zu führen. Ansonsten – Erledigungen etc. funktionieren so auch, man muss sie halt anders einteilen als andere. Und unseren Dienstplan bekommen wir eh ein Monat vorher, da lässt sich soweit eigentlich alles ganz gut planen.
Liebäugelst du nicht trotzdem manchmal mit einem ganz normalen 8to5-Job?
Niemals – nach zehn Jahren bin ich schon so drin in meinem Rhythmus mit den Spätdiensten, ich könnte mir so eine total geregelte Routinearbeit gar nicht vorstellen!
Bereit für den Notfall
Oberarzt Prof. Hirschl, Arzt aus Leidenschaft und Überzeugung seit 20 Jahren, leitet seit 3 Jahren die Notfallaufnahme im Landesklinikum St. Pölten. Mit seinem Team ist er für alle akut kranken Patienten verantwortlich – plötzliche Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Vergiftungen…
Wie sehen Ihre Nachtdienste aus?
Durchschnittlich habe ich wöchentlich einen Nachtdienst von 8 Uhr bis 14 Uhr des nächsten Tages. Einmal monatlich ist ein ganzes Wochenende von Samstag bis Montag vorgesehen. Wenn’s brennt, bleibe ich natürlich auch länger, das ist in meinem Beruf keine Frage.
Wie lange vorher stehen Ihre Dienste fest?
Die grundsätzliche Einteilung erfolgt zwei Monate vorher, aber innerhalb des Teams lassen sich dann bis eine Woche vorher noch Tausch etc. regeln.
Sie haben bestimmt Familie – belastet Ihre Arbeit das Privatleben denn nicht?
Ich persönlich habe großes Glück – meine Frau ist Krankenschwester, so betrachtet sind wir Gleichgesinnte. Sie werden gerade im Krankenhausbereich übrigens oft solche Beziehungskonstellationen vorfinden: Wenn man eine 80-Stunden-Woche hat, ist man nun einmal viel mehr mit seinen Kollegen zusammen als mit Leuten „draußen“. Von daher kommen gerade die jungen Leute untereinander in Kontakt. Das ist ganz natürlich. Man arbeitet intensiv zusammen, teilt das berufliche Interesse und redet natürlich in den Pausen auch privat miteinander. Bei mir war es damals, als ich meine Frau kennenlernte, ja genauso.
Was ist gerade im Hinblick auf Spätdienste eher negativ?
Ein entscheidender Nachteil ist, dass der nächste Tag definitiv verloren ist. Geistig sind da keine konzentrierten Tätigkeiten möglich. Es gibt auch Kollegen, die dann nicht schlafen können – bei denen ist der Rhythmus dann durcheinander. Ich persönlich habe dieses Schlafproblem aber nicht.
Ist es wie in den Serien – dass Sie zur Erholung dann aufs Dach joggen gehen?
Also es gibt sicherlich viele Kollegen, die wirklich Sport treiben. Ich gehe zum Entspannen lieber in meinen Garten.
Was nimmt Sie an Ihrer Arbeit besonders mit?
Immer schlimm ist, wenn Patienten plötzlich versterben. Grade nachts ist es so: Wenn jemand um 22 Uhr eingeliefert wird und verstirbt, müssen wir die Angehörigen anrufen – um 2 Uhr nachts zum Beispiel. Das übernehmen klarerweise eher die erfahreneren Ärzte im Team – die jüngeren müssen das natürlich auch tun, aber es ist ja selbst für uns Älteren sehr belastend: Als Arzt wirst du als Retter angesehen – und dann musst du aber der Überbringer der schlechten Nachricht sein. Das wird immer das Schlimme an unserer Arbeit sein. Leider hat die Medizin Grenzen.
Wenn Sie ein Wochenende in der Klinik durcharbeiten, und dann raus ins Tageslicht treten und wissen, dass Sie jetzt frei haben – fühlen Sie sich da nicht manchmal wie im falschen Film?
Nein – dieses „Rausgehen ins richtige Leben“ fühlt sich jedes Mal gut an! Wenn hinter mir die Schiebetüren zugehen, schalte ich ganz ab. Das Handy wird abgedreht und ich bin nicht erreichbar. Ich entscheide mich ganz bewusst dafür, dass jetzt mein freier Tag beginnt. Und den verbringe ich mit meinen Kindern, meiner Familie, im Garten… Das ist absolut nötig, damit ich beim nächsten Dienst wieder voll für die Arbeit da sein kann – anders geht’s nicht!
Die Nachthackler…
sind jetzt ein Stück greifbarer geworden. Ich sehe es jetzt anders, wenn ich Angie aus der VAZ-Ticketline spät-abends wegen einer Auskunft anrufe, mir um kurz vor zehn noch schnell eine DVD ausborgen fahre, mir einen Umtrunk bei Chefin Alex im Fliegerbräu hole oder mir schon wieder die Milch ausgegangen ist und der letzte Ausweg für meinen obligaten Café au lait die Tankstelle ist. Denn: All diese Leute sind gerne für mich da. Sie arbeiten gerne nachts, und sie machen einen super Job.
Um fit und bereit sein zu können, verlegen sie alltägliche Besorgungen und soziale Kontakte gemäß ihres Dienstplanes. Sie essen und schlafen zu andren Zeiten und versäumen regelmäßig die TV-Serien, ohne die die normalen Tageshackler nicht zu Bett gehen. Wenn ein guter Film läuft, verkaufen sie die Karten dafür, wenn Urlaubszeit ist, betanken sie unsere Autos für die Strecke. Und wo ein Unfall passiert, sind sie zur Stelle und kümmern sich um uns.
Ich wünsche allen schöne Weihnachten. Aber vielleicht wäre dieses angebliche Fest der Liebe ja mal ein Anlass, auch an die oft vergessenen Alltagshelden der Nacht zu denken. Ich spreche nicht von Blumensträußen und Picknickkörben – ein „Danke, dass du so spät noch da bist – und dabei auch noch freundlich, geduldig und humorvoll!“ würde meiner Meinung nach wohl schon reichen …