MFG - Sex in the city
Sex in the city


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Sex in the city

Text Michael Müllner
Ausgabe 10/2006

Erinnern Sie sich noch an die Fußball WM in Deutschland, als eigene Container-Puff-Dörfer errichtet wurden, um die Bedürfnisse der offensichtlich nicht nur fußball-, sondern auch sexhungrigen Fans frei nach dem Motto „Ein Fest bei Freunden“ zu befriedigen? In St. Pölten bäckt man die erotischen Brötchen zwar kleiner, dennoch floriert auch hier das Geschäft mit dem Sex, wenn teils auch unter einer heuchlerischen Bettdecke. Von Sexshops, Etablissements, Peep Shows und Dienstleistungen, die offiziell nicht existieren und die es doch angeblich gibt.

"Heut geh ich ins Maxim"
Drehen wir vielleicht kurz das Rad der Zeit zurück,  Anfang 20. Jahrhundert,  als im legendären Bordell am Hammerweg eine dem Untergang geweihte dekadente Oberschicht in Agonie ihr feucht-frivol-erotisches Spiel zelebrierte. Während ein Pianist im Frack am Salonflügel musizierte, dinierten derweil die Herren aus „besserm Hause“ und ihre Milchbart-Söhne an edel eingedeckten Tischen in Gesellschaft angeblich wunderschöner Dirnen, bevor sie mit diesen in opulent-plüschigen Separees verschwanden.
Die zwei heutigen Animierlokale in St. Pölten (keine Puffs wohlgemerkt), die Pussycat Bar und das Cabaret, warten zwar ebenfalls mit gedämpftem Licht und – teils kitschiger – Ausstattung wie Engeln, roten Samtbezügen, drappierten Champagnerflaschen oder neonfarbenen Sternen an der Decke auf, dennoch schlägt der kühlere Zeitgeist durch. Eine Bühne mit eindeutiger Stange zum Tanzen lässt kaum mehr Raum für Fantasie und statt des Klavierspielers kommt die Musik längst aus der Konserve, wobei sich zwischen Eros Ramazotti, Prince oder Boney M. schon mal der „Anton aus Tirol“ oder das „Knallrote Gummiboot“ verirren. Auch das Klischeebild vom roten Herz in der Auslage, das sehnsüchtig frohlockend in die finstre Nacht blinkt, ist passé.
Am Anfang war...
Interessant ist, wie die Lokalitäten in St. Pölten überhaupt entstanden – oder besser, passierten. Im Falle des Cabaret, das schon gute 15 Jahre auf dem Buckel hat, kam die Idee etwa vom WIFI Betriebsberater (!), weil evident wurde, dass die Besitzerin die Schuldenlast auf dem Gebäude mit dem „konventionellen“ Lokalbetrieb nicht würde tilgen können. „Ich hab zu ihm gesagt ‚Wissen Sie was, packen Sie Ihre Sachen.’ Ich war empört“, erinnert sie sich zurück. Als sich ein paar Tage später Gäste aus dem Ausland nach einem netten Nachtlokal in der Stadt erkundigten, begann sie zu überlegen, und als schließlich eine durchaus als konservativ zu bezeichnende Arztgattin meinte „Wissen Sie, wenn Sie kein Geld haben, reden die Leute blöd über Sie. Und wenn Sie mit so einem Lokal Geld machen, werden sie ebenso blöd reden. Was ist Ihnen lieber?!“, war die Entscheidung gefallen.
Dass es im übrigen tatsächlich so gekommen ist, wie die Arztgattin prophezeit hat, ist eine der Negativseiten des Jobs. „Druaßen ernte ich schiefe Blicke draußen. Auch von Gästen, selbst wenn sie am Vortrag vielleicht noch mit Perücke, Strapsen und Stöckelschuhen bekleidet auf der Bühne getanzt haben. Ich will deshalb gar nicht mehr außer Haus gehen!“
Dass man hier war, dazu stehen die wenigsten. „Der Feind ist das schlechte Gewissen“, philosophiert ein Gast, „deshalb ist das auch alles noch irgendwie tabu – und das beim angeblich ältesten Gewerbe der Welt“, doziert er augenzwinkernd.
Im Fall der Pussycat Bar wiederum war der erste Besitzer ganz dem Klischee entsprechend ein „Koberer“, wie das in der Szene heißt. Ein schwerer, gewaltbereiter Bursche, der angeblich wegen Mädchenhandls im Häfn landete. Doch das ist lange her. Der heutige Geschäftsführer war vorher Taxler und begann irgendwann zu rechnen. „Als Taxler verdient man kein Geld, aber ich hab gewusst, wie viel die Gäste in den einschlägigen Lokalen ausgeben!“ Als jenes in Stattersdorf in Konkurs ging, schlug er zu. Freilich, auch er klagt über Abnutzungserscheinungen. „Das Geschäft kannst nicht ewig machen, sonst stumpfst du komplett ab. Ich bau mir parallel im Immobilienbereich ein zweites Standbein auf.“
Skandal im Sperrbezirk
Etwas, was den Etablissement-Besitzern – und zwar insbesondere psychisch - ebenfalls zu schaffen macht, weil sie in einen Graubereich gedrängt werden, ist ein kleinkariert-prüdes Provinzpflänzchen namens „Sperrbezirk“, das durch den Hauptstadtasphalt wächst. Soll heißen, dass Prostitution in der Landeshauptstadt verboten ist, während „Weltstädte“ wie Göblasbruck, Wölbling oder Krems diesbezüglich längst die Hosen runtergelassen haben.
„Keiner will politisch Verantwortung übernehmen“, ärgert sich ein Gast, ein anderer formuliert es noch drastischer. „Die Politiker sind konservative Affen und haben keine Ahnung. Außerdem ist das lächerlich und verlogen. Würd so ein Lokal einen Zentimeter außerhalb vom Stadtgebiet stehen, wär alles erlaubt!“ Die Besitzer selbst zeigen teilweise Verständnis, halten die Ängste der Politiker (die Bürger sind da im übrigen bei weitem gelassener) aber für unbegründet. „Das Problem ist das Image, welches das Milieu hat. Die Leute – und mir ging es früher nicht anders - verbinden damit Rauschgiftschmuggel, Waffenhandel, Messerstechereien!“, so die Besitzerin vom Cabaret. „Nur“, so setzt sie nach „Ich bin jetzt seit fast 15 Jahren im Geschäft, und so etwas hat es bei mir noch nie gegeben – dabei hab ich nicht einmal einen Türsteher!“ Auch in der Pussycatbar stößt man ins selbe Horn. „Bei uns passiert weniger, als in einem Dorfwirtshaus!“ Ein Eindruck, den auch die Polizei im Grunde bestätigt. „Wir kontrollieren laufend – in alle Richtungen, auch hinsichtlich Beschäftigungsgesetz, Aufenthaltsgesetz, Ausländergesetz. Die eine oder andere geringfügige Übertretung gibt es natürlich bisweilen, aber es ist kein unüberschaubares Problem“, formuliert es Major Siegfried Sautner von der Kripo. Dass es freilich geben könnte, was es nicht geben darf, erahnt man paradoxerweise just durch den expliziten Hinweis, dass es verboten ist. „Es gibt Räumlichkeiten in den Häusern, wohin man sich zurückziehen kann. Dort steht in verschiedenen Sprachen, dass hier Prostitution nicht gestattet ist. Was dort tatsächlich passiert, kann die Polizei nicht immer feststellen, aber wir können es uns denken, wie es sich die Gesellschaft denken kann.“
Die Angst vor der "Sexplosion"
Tatsächlich dürfte gerade die Angst vor einer „Sexplosion“ die Hauptwurzel sein, warum das Thema seitens der Stadt bislang wie eine heiße Kartoffel behandelt wird, wenngleich derzeit – wenn man zwischen den Zeilen liest – wieder etwas Bewegung in die Sache kommen dürfte. Zwar meint der Bürgermeister „Das ist kein akutes Problem“, räumt aber ein, dass „es Gespräche und Überlegungen hinsichtlich des Sperrbezirks gibt. Beide Varianten, sowohl die Aufhebung, als auch die Beibehaltung haben Für und Wider. Das muss von den Experten genau überprüft werden!“ Nachsatz: „Wir wollen jedenfalls vermeiden, dass wir zu einem Sex-Zentrum werden oder es zu massiveren Formen bis hin zum Straßenstrich kommt.“
Ein Szenario, welches die Polizei – die ja quasi an vorderster Front steht – allerdings für unwahrscheinlich hält. Im Gegenteil brächte eine Aufhebung des Sperrbezirks eher Vorteile, wie Major Sautner überzeugt ist. „Dass wienähnliche Zustände oder Rivalitäten eine Rolle spielen, seh ich nicht für St. Pölten. Wenn ich von der derzeitigen Situation ausgehe – ohne also zu wissen, was die Zukunft tatsächlich bringt – wäre meine private Ansicht, die sich mit der dienstlichen im Prinzip deckt, dass eine Legalisierung sinnvoll ist, weil es für uns einfacher und besser zum Kontrollieren ist.“ Ein Faktum, welches auch der Bürgermeister als Pro-Argument bestätigt. „Die Legalisierung brächte den Vorteil, dass die Damen angemeldet sind, regelmäßig untersucht werden, zum Amtsarzt gehen etc. Das ist nicht von der Hand zu weisen.“
Und dass man nur in gewissen Stadtgebieten, also etwa rund um die derzeitigen Etablissements, den Sperrbezirk aufhebt, wäre dies eine Kompromiss-Möglichkeit? Da winkt das Stadt-oberhaupt ab. „Die Juristen sagen, du kannst nicht auf eine Parzelle quasi Bann legen und auf die andere daneben nicht. Das könnte eingeklagt werden. Umgekehrt müssten manche Lokale unter der Prämisse vielleicht sogar zusperren.“ Damit spielt er wohl auf die Pussycat Bar an, die seit Jahrzehnten in der Nähe – ohne dass dies die Leute großartig aufregen würde – sowohl von Schule als auch Kirche situiert ist. Das nö. Prostitutionsgesetz bleibt diesbezüglich im übrigen äußerst vage. So heißt es unter §3 Verbotsbestimmungen, Abs. 2.: „Die Prostitution darf weder angebahnt noch ausgeübt werden [...] in Gebäuden, die religiösen Zwecken gewidmet sind, Amtsgebäuden, Schulen [...], in unmittelbarer Nähe aller dieser Einrichtungen.“ Nur, wie definiert man unmittelbar?
Dafür steht im Gesetz ein anderes, etwaiges Schlupfloch hinsichtlich des Verbotes von Prostitution „5. an Orten oder zu Zeiten, für welche die Gemeinde mit Verordnung ein Verbot erlassen hat.“ Sind also doch einzelne Sperrbezirkszonen möglich anstatt eines generellen?
Dr. Christian Hirzberger, welcher sich als Anwalt bereits intensiv mit der Materie auseinandergesetzt hat, hält im übrigen gerade die bestehende Verordnung aus dem Jahr 1984 verfassungsrechtlich für angreifbar. „Die Gemeinde ist verfassungsrechtlich nur befugt, die öffentliche Ausübung von Prostitution zu regeln. Die St. Pöltner Verordnung bezieht sich aber auf die Ausübung schlechthin, differenziert also nicht zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher. Demnach überschreitet die Gemeinde ihre Kompetenzen. Das wäre ähnlich wie beim Ortstafel-Streit: Wenn der Magistrat oder die Polizei auf Basis dieser Verordnung straft, könnte man das vor dem Verfassungsgerichtshof anfechten und ausjudizieren – mit guten Chancen, dass man recht bekommt. Diesbezüglich gibt es im Falle anderer Städte schon Vorentscheide.“
Persönlich hält er, wie wohl ein Gros der Bevölkerung, den Sperrbezirk für überholt. „Das ist jetzt eine staatsbürgerliche, keine juristische Aussage: Man fragt sich schon, ob es klug ist, mit Verboten gegen Dinge vorzugehen, die nicht umzubringen sind. Es wär viel klüger, das zuzulassen und damit aus der Schmuddelecke rauszuholen, damit es kontrollierbar wird. Man muss ja nicht gleich in der FUZO ein Lokal mit roten Lichterl aufmachen.“
Die Nicht-Legalisierung drängt nach Expertenmeinung jedenfalls eher in die Illegalität, als dass sie umgekehrt aus einer solchen herausführt. „Wenn das rechtlich geregelt ist, dann können sich alle legal bewegen. Wir als Polizei tun uns leichter, die Damen üben ihren Beruf völlig legal aus, und die Gäste können die Dienstleistung ebenfalls legal konsumieren“, meint diesbezüglich Major Sautner.
Champagnergast
Zurück in die Lokale. Die  Animierdamen – im einen Lokal gewagt sexy, aber nicht vulgär gekleidet, im andern schon etwas spärlicher mit Rökken Marke „Gürtel“ – sitzen zu früher Stunde wie beim Damenkränzchen zusammen. Als Gäste anläuten (einfach so erhält man nicht Zutritt), kommt Bewegung in die Runde. Die Damen mischen sich unters (großteils) Männervolk und leisten Gesellschaft. Der Chef oder die Chefin, so hat man den Eindruck, gibt dabei wie der General am Feldherrenhügel Zeichen, welche Dame sich welchem Gast widmet. Je nach Offensiv-Faktor „animieren“ die Damen zunächst mal zum „Piccolo“, und weil die Herren schließlich Gentlemen sein sollen, erwartet man sich selbst auch eine Einladung. Kurzum, Trinkfestigkeit ist eine der Grundvoraussetzungen für den Job, dies umso mehr, da die Getränke-Konsumation de facto die wichtigste Einnahmequelle darstellt, nicht nur für die Etablissement-Besitzer sondern auch für die Damen, die daran beteiligt sind. Im Schnitt berappt man 25 Euro für einen Piccolo. „Das schaut auf den ersten Blick viel aus, aber man bekommt ja auch etwas geboten – das Ambiente, die Mädchen, die Tänzerinnen. So setzt sich der Preis zusammen.“
Lieblingsgäste sind im übrigen sogenannte „Champagnergäste“, also jene – nomen est omen – die es großzügiger geben. „Wenn ich nur einen guten Gast hab, kann das schon reichen. Von der Masse könntest nicht leben!“, so ein Besitzer.
Von Animierdamen und Sexarbeiterinnen
Die Damen selbst kommen zum Großteil aus dem Osten – Ungarn, Slowakei, Tschechien etc. Das war nicht immer so. „In den 80er Jahren gab es etwa einen Thailänderboom“, erinnert sich der Besitzer der Pussycat Bar und gerät fast ein wenig ins Schwärmen. „Das waren Goldene Zeiten.“
Zumeist stehen die Damen, die als Selbständige arbeiten, eines Tages einfach vor der Tür und bieten ihre Dienste an. Viele kommen aus zerrütteten Verhältnissen. „Es gibt viele tragische Schicksale. Frauen, die schon als Kind vom Vater oder Bruder vergewaltigt worden sind. Die nie etwas anderes gekannt haben. Die jahrelang von Lokal zu Lokal ziehen und es irgendwann übersehen, an einen Strizzi geraten, der sie ausbeutet für ein paar Streicheleinheiten, in völlige Abhängigkeit bringt. Schließlich landen sie bei Alkohol und Drogen, und zuletzt – mit 50 oder mehr - am Straßenstrich. Es gibt kein deprimierendes Bild“, so ein Insider.
Die Besitzerin des Cabaret sucht sich deshalb ihre Mädchen genau aus und sieht sich in einer Art Mutterrolle. „Ich versuche den Mädchen sozusagen in den Arsch zu treten, sage ihnen: ‚Setz dir Ziele. Zieh nicht von Lokal zu Lokal. Kauf dir eine eigene Wohnung. Spar Geld für später und stell nicht alles auf den Kopf.’ Die Mädchen sollen ein Ausstiegsszenario entwickeln, denn die psychische Belastung in dem Job ist enorm. Und was ist, wenn sie krank werden, länger ausfallen? Dann stehen sie mit nichts da.“
Ein anderes, oftmaliges Phänomen in dem Beruf ist soziale Isolierung. „Ich hab zu einem Mädchen gesagt, ob sie nicht einmal eine Woche nachhause fahren möchte. Da hat sie gemeint: Ich hab kein Zuhause!“
Wenig verwunderlich also, dass das Lokal und die Kolleginnen zu einer Art Ersatzfamilie mutieren. „Wir gehen gemeinsam an den See baden, ins Fitness-Studio trainieren, wandern“, so eine der Damen. „Stutenbissigkeit“ wird von der Chefin übrigens nicht geduldet – damit schaden die Mädchen dem Geschäft und sich selbst. „Gäste kommen nicht nur wegen einer Dame. Und wenn zwei nett sind, zahlt der Gast auch gern für beide.“
"Kollatoralschäden"
Wenn man danach fragt, wie viele der Damen es wirklich schaffen, nach einigen Jahren Business mit einem schönen Geldpolster am Sparbuch auszusteigen, fällt die Bilanz ernüchternd aus. „Ich hab sicher 200 Mädchen kennengelernt – wirklich geschafft haben es vielleicht drei.“
Eine davon ist Irina [Name geändert], mit der wir ins Gespräch kommen. Sie ist gelernte Krankenschwester (eine vielleicht 20 jährige Kollegin daneben hat übrigens gerade Jus zu studieren begonnen, also auch das gibt es). Seit mittlerweile sieben Jahren ist sie hier, äußerst unüblich für die Branche. „Sie ist unser Dinosaurier“, lachen deshalb die Kolleginnen. Der Dinosaurier hat freilich schon viel erlebt und kann somit unsere Neugierde über das horizontale Gewerbe im allgemein stillen.
Grundmotivation für die Berufswahl war, wie bei so vielen, der Traum vom großen Geld. „In Ungarn verdient eine Putzfrau besser als eine Krankenschwester.“ Deshalb hat sie mit 26 Jahren, also relativ spät, als Tänzerin zu arbeiten begonnen – im übrigen gemeinsam mit ihrem Freund. „Aber davon wird man auch nicht reich, deshalb hab ich ihm gesagt, dass ich auch mehr machen kann.“ Das „Mehr“ wurde dann zum Beruf, den sie heute noch als „Teilzeitkraft“, wenn man es so nennen möchte, ausübt. Sechs Wochen ist sie zuhause bei der Familie in Ungarn, hilft der Mutter im Haushalt, führt ein stinknormales „bürgerliches“ Leben. Dann fährt sie für zwei, drei Wochen nach Österreich zum Arbeiten – offiziell nach wie vor als Tänzerin. „Ich glaube schon, dass meine Mutter etwas ahnt, aber sie fragt nicht näher nach und ich erzähle auch nichts“, erklärt sie eine Art Verschwiegenheitspakt innerhalb der Familie.
Auch Partnerschaften aufzubauen ist in dem Job schwierig, wobei eine Kollegin einwirft „Wenn ein Mann akzeptiert, dass seine Frau Prostituierte ist, dann muss er selbst ein Strizzi sein.“ Die Alternativen sind also völliger Ausstieg oder Bruch. Zweiteres ist die Regel, ein „Pretty Woman“-Schicksal hingegen die glorreiche Ausnahme, wenngleich selbst dies ab und an vorkommt. Irina selbst war in Ungarn neun Jahre mit einem Mann liiert. „Das Problem war die Zeit. Ich war oft in Österreich, er allein daheim.“ Die Beziehung ging in die Brüche.
Zudem, was auf den ersten Blick interessant erscheint, sind Damen aus dem „Rotlichtmilieu“ angeblich manisch eifersüchtig. „Wenn Frauen aus dem Gewerbe solche Gefühle zulassen, dann hat das eine besondere Tiefe. Ein Gspusi des Mannes nebenbei würden sie nie akzeptieren“,  so die Cabaret-Chefin. Männern wird überhaupt – vielleicht weil man eben (nur bzw. v.a.?!) um deren Abgründe und Schwächen besonders gut bescheid weiß – unverhältnismässiges Misstrauen entgegengebracht. „Ich würde für keinen Mann, der hier herein kommt, auch wenn nur zum Spaß, die Hand ins Feuer legen. Irgendwann macht es bei jedem Klick – dann regieren ausschließlich die Hormone. Mein Partner müsste ‚rein’ sein, in jeder Beziehung!“
Das 1. Zimmer
Irina plaudert auch aus dem Nähkästchen von ihrer Zeit als Professionelle. Das erste Mal oder das „1. Zimmer“, wie es die Damen nennen, ist zumeist eine schlimme Erfahrung, an die sich die meisten nicht mehr „erinnern“ können. In Wahrheit wird es zumeist verdrängt, wie Irina erläutert. Ihr erstes Mal war „eine Katastrophe. Ich konnte überhaupt nicht die Sprache. Der Freier hat gesagt Sado-Maso. Ich hab nur lieb gelächelt und genickt, weil ich keine Ahnung hatte, was er sagte. Da hatte ich schon eine Ohrfeige. Das war nicht wirklich schön.“
Und wie läuft das mit dem Verdienst ab? In vielen Häusern – den seriöseren wohlgemerkt – ist es so, dass die Damen einerseits wie die Animierdamen am Getränkeumsatz beteiligt sind, zum anderen für die Benutzung des Zimmers, wohin sie mit dem Gast verschwinden, eine „Miete“ bezahlen – in der Regel 50% des Freierbetrages. Die halbe Stunde kostet in unseren Breiten um die 120 Euro, die ganze 200. Wenn der Kunde sexuelle Sonderwünsche hat, verlangen die Damen meist Aufschläge, die in ihre eigene Tasche fließen.
Wie erfolgreich oder erfolglos man ist, hängt auch vom Talent ab. „Man muss schon eine gute Schauspielerin sein“, lacht Irina. „Wir bieten Illusionen.“
Dass viele „Illusions-Damen“ selbst in der Desillusion und Verzweiflung landen, habe sie im Laufe der Jahre auch erlebt. Am schlimmsten dran seien Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel. Frauen, deren Zuhälter – Kriminelle - ihnen nicht nur den Pass, sondern jegliche Würde raubten, sie völlig abhängig machten und ausbeuteten. „Das gibt es zum Glück nicht in St. Pölten“, seufzt sie - wohl mit ein Grund, warum es sie ehemals hierher verschlug. Von Gästen, Kunden und Patienten
Bleibt noch die Frage, welche Typen überhaupt kommen? „Es gibt drei Kategorien“, erläutert eine Dame mit Berufserfahrung. „Die Gäste – das sind jene, die zumeist in einer Gruppe kommen, wo es sich, etwa nach einer Geburtstagsfeier, so ergeben hat. Die wollen einfach nur Spaß haben und etwas trinken. Dann gibt es die Patienten, das sind jene, die dieses Milieu brauchen, in gewisser Weise abhängig sind. Dazu zählen viele Stammgäste, vorwiegend Männer, die allein leben. Die würd draußen niemand anschauen, hier sind sie plötzlich wer, hübsche Mädchen setzen sich zu ihnen, reden mit ihnen. Die zahlen quasi für die Illussion. Die dritte Kategorie sind Kunden, die bewusst kommen, um ihre sexuellen Neigungen auszuleben.“
Was die Damen mitunter selbst verwundert, ist der Besuch von Männern, die vermeintlich befriedigt sein müssten. „Ich hab einen Kunden gefragt: ‚Aber du hast doch eine junge, hübsche Frau zuhause, liebe Kinder - was machst du hier? Er hat gemeint, er hätte seit drei Jahren keinen Sex mehr gehabt.“
Eine weitere Erklärung ist ein überbordendes Schamgefühl und Kommunikationslosigkeit zwischen den Paaren. „Viele können über ihre sexuellen Neigungen und Wünsche nicht offen reden, weil sie sich schämen oder Angst haben, den Partner zu verletzen. Während Frauen dann frustriert sind und den Fehler bei sich suchen, gehen Männer in dem Glauben, wenn sie dafür bezahlen, handle es sich nicht um Betrug, ins Puff. Dabei wären die Frauen zuhause großteils aufgeschlossen, wenn sie nur um die Wünsche ihrer Männer wüssten. Und ganz ehrlich - was ist Schlimmes daran, wenn eine Frau mal die Stiefel anlässt im Bett, oder - wenn der Mann drauf steht - in ein Latex-Kleid schlüpft?“
Man liege aber überhaupt einem Irrglauben auf, wenn man denkt, es gehe nur um Sex. Viele, wenn nicht gar die meisten Männer, kommen großteils, um sich auszuweinen oder Anerkennung zu suchen. Irina ist es im Laufe ihrer Berufskarriere nicht erst einmal passiert, dass ein Mann zwar fürs Zimmer bezahlt hat, dann aber nur kuscheln und reden wollte. „Das sind die Besten“ lacht sie.
Weniger zum Lachen ist die Situation für Lebenspartnerinnen, wenn sie dahinter kommen – am schlimmsten in jenen Fällen, wo der Mann ein gewisses Suchtverhalten an den Tag legt und, wie es einer der Besitzer formuliert, „sein ganzes Geld in Puffs verhurt.“ Nicht erst einmal ist eine verbitterte Ehefrau vor der Tür gestanden. „Früher hab ich Skrupel gehabt gegenüber solch armen Teufeln, weil ich ja gewusst hab, der kann es sich nicht leisten. Ich hab die Herren vor die Tür gesetzt, mit dem Ergebnis, dass sie ins nächste Nachtlokal gefahren sind – heimgefahren ist keiner“, so ein Besitzer.
Welcome in der Solokabine
Dabei gibt es, überspitzt formuliert, auch die vermeintliche Schmalspur-Variante für die kleine Börse - in der Daniel Granstraße lädt die Peep Show „Hardcore-Sexpress“ zum Münz-Wett-Einwerfen. Neben den klassischen Sexprodukten wie Cremen, DVDs und Spielereien bietet das Etablissement auch Einzelkabinen an. Dort nimmt man Platz, wirft 1-Euro-Münzen ein und sieht durch eine Plexiglaswand einer (echten) Dame beim Tanzen auf einer runden Bühne zu, um die herum die Kabinen angeordnet sind. Zudem ist es möglich, die „Dame seiner Wahl“ in die „Solokabine“ zu bestellen – hier bietet nur ein Fenster Einblick in die Körperkunst, man genießt also „exklusiv“. Etwas günstiger sind Video-Kabinen mit neuesten Pornos „in DVD-Qualität“.
Für Rätselraten sorgte die frühe Sperrstunde (23 Uhr). Aufklären konnten wir dieses Mysterium nicht, ein Gespräch mit „jemandem von der Zeitung ist bei uns nicht möglich“, ließ der Chef ausrichten. Warum denn, wenn doch gar nix Böses zu berichten sei? „Kein Kommentar.“ Auch die Polizei lässt die Peep-Show kalt: Gerüchte, wonach man die Glasscheiben schnell entfernen und somit „mehr“ stattfinden könnte als nur der „passive Konsum“, seien nach Prüfung vor Ort widerlegt. Freilich wisse niemand, ob nicht nach erfolgreicher Tanzdarbietung noch im Privaten weitergefeiert würde. Wer finanziert denn schon sein Leben ausschließlich von ein paar eingeworfenen Münzen?
Kein Sodom & Gomorrha
Man mag zum Sex-Business stehen wie man möchte, eines ist nicht von der Hand zu weisen, wie es eine Dame treffend formulierte: „Das Geschäft mit dem Sex wird es geben, solange Männer Hormone haben!“ Die St. Pöltner Männer und jene der Region bilden da beileibe keine Ausnahme. Aus diesem Blickwinkel ist nicht nur das österreichische Gesetz überholt, wonach – etwa im Gegensatz zu Deutschland, wo seit 2002 Prostitution als Beruf anerkannt ist – Prostitution noch immer als „sittenwidrig“ eingestuft wird, sondern auch der Sperrbezirk in St. Pölten.
Zu akzeptieren, was einfach Realität ist, wird die kleine Landeshauptstadt nicht umbringen, und es wird auch nicht mit einem Mal Sodom & Gomorrha ausbrechen. Wir werden bestenfalls ein Stück liberaler und - sozialer. Denn profitieren würden von der Legalisierung v. a. die Sexarbeiterinnen, die jetzt in ein willkürliches (auch rechtliches) Niemandsland gedrängt sind. Darüber sollte man einmal – unaufgeregt und sachlich – in Ruhe nachdenken!