MFG - Zu Gast in St. Islam
Zu Gast in St. Islam


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St. Pöltens gute Seite

Zu Gast in St. Islam

Text Michael Müllner
Ausgabe 09/2014

Integration ist an sich ein komplexes Thema. Und seit neuerdings durchgeknallte Glaubensfanatiker von Österreich aus in den Heiligen Krieg ziehen, wird über politisch-radikalen Islam heißer diskutiert denn je. Rund acht Prozent der St. Pöltner Bevölkerung gehören zur muslimischen Glaubensgemeinschaft. Eine Bestandsaufnahme.

Österreichs Neutralität ging lange Jahre Hand in Hand mit einer konsequenten „Wurschtigkeit“. Ausländische Terror-Chefs blieben unbehelligt, so lange sie im Land nicht kriminell auffielen. Doch in den letzten Jahren ist die Welt komplizierter geworden, Grenzen bieten nicht mal mehr vermeintlichen Schutz. Und nach 9/11 erlebten auch europäische Metropolen wie London und Madrid die Verletzlichkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Kein Wunder, dass es am Durchschnittsösterreicher nicht spurlos vorbeigeht, wenn junge Menschen die hiesigen Annehmlichkeiten gegen ein Leben als Gotteskrieger eintauschen. Junge Menschen, die jahrelang hier leben, zur Schule gehen und dann plötzlich radikal werden, ihre sieben Zwetschken packen und in den Heiligen Krieg ziehen? Unglaublich und dennoch berichtete der österreichische Verfassungsschutz im August von rund 130 Personen, die von Österreich aus in Kriegsgebiete gereist sind, um dort an religiös-motivierten Kriegen teilzunehmen. Doch wie kommt es dazu? Und wie ist die Lage in St. Pölten und Umgebung?
Keine Hinweise?
Ernst Fürlinger leitet das „Zentrum für Religion und Globalisierung“ an der Donau-Universität Krems. Im August veröffentlichte er auf Basis empirischer Forschung ein Werk über die „Muslimische Vielfalt in Niederösterreich“. Dabei untersuchte er, wie sich die Muslime organisieren. „Der politische Islam manifestiert sich in St. Pölten – wie im übrigen Österreich auch – in Form sunnitisch-islamistischer Organisationen und Bewegungen primär mit türkischer Herkunft, die auch jeweils Moscheevereine aufbauen“, so Fürlinger. In St. Pölten dominiere die große Moschee des muslimischen Dachverbands „Islamische Föderation“.
Fürlinger betont, wie wichtig es ist, diese etablierten Organisationen von den wirklichen Problemquellen zu unterscheiden. Gefahr gehe nämlich vielmehr von „den einzelnen Personen und Splittergruppen aus, die zu den radikalen, salafistischen Strömungen gehören und die an ihren rechten Rändern zur djihadistischen, gewaltbereiten Szene übergehen.“
Aber sind derartige Gruppierungen in St. Pölten auch aktiv? „Bei meiner Feldforschung bin ich auf keine Hinweise gestoßen, dass solche Kreise in St. Pölten existieren. Jedoch hat mich das Landeskriminalamt NÖ damals informiert, dass sich sehr wohl radikalisierte Personen im muslimischen Spektrum in Niederösterreich aufhalten. Im Unterschied zu Wien bilden diese Personen aber in Niederösterreich keine Gruppen oder Institutionen“, so der Experte.
Eine weitere Expertin auf dem Gebiet ist die St. Pöltnerin Susanne Fuhs, Sozialarbeiterin bei „Nordrand Mobile Jugendarbeit St. Pölten“. Ihr Team arbeitet mit Kindern, die meistens zwischen 13 und 15 Jahren alt sind. Wie der Name Streetwork vermuten lässt, treten die Sozialarbeiter dabei auf den Straßen mit den Kindern in Kontakt – und bauen so über die Zeit zu den Kindern eine Vertrauensbeziehung auf. „Wir gehen ein Stück des Weges miteinander, reden mit den Kids über ganz verschiedene Dinge. Im Laufe der Zeit entsteht dann eine Vertrauensbasis und sie rücken im Fall des Falles auch mit ernsten Anliegen raus“, beschreibt Fuhs ihre Arbeit.
Bei den Mädchen handelt es sich meist um klassische Mädchen-Themen wie die erste Liebe oder Verhütung. Die Burschen thematisieren meistens das Männlichkeitsbild, wie muss ein Mann sein, welches Verhalten wird erwartet. „Da spielt die Religion gar nicht primär eine Rolle, es geht grundsätzlich um Werte, die werden von der Familie im Rahmen der Erziehung weitergegeben, quasi über die Religion ins Leben der Kinder weitergereicht“, so Fuhs.
Nach Syrien gegangen?
Die Arbeit mit den Kids läuft anonym, es ist ein großer Vertrauensbeweis, wenn sich Kinder mit Sorgen oder Problemen an die Sozialarbeiter wenden. Ob auch über radikalen Islam gesprochen wird? „Bei den Kids ist das kaum ein Thema, die kriegen das, wenn überhaupt, dann nur durch die Eltern mit, wenn eben über Politik gesprochen wird. Viele kennen zum Beispiel die Türkei nur als Land, wo man Urlaub macht und entfernte Verwandte trifft. Aber es kommt schon vor, dass Kinder andeuten, dass sie da jemanden kennen würden, einen älteren Verwandten, der jetzt nach Syrien gegangen sei“, erklärt Fuhs. Wie reagiert man auf solche Situationen? „Wenn jemand sowas anspricht, dann fragen wir nach, was er oder sie davon hält. Die Kinder finden das salopp gesagt einfach ‚scheiße‘. Viele sind selber noch von Kriegen schwer traumatisiert und versuchen das Erlebte so gut es geht zu verdrängen. Die verstehen nie im Leben, wie man freiwillig in den Krieg ziehen kann. All diese Andeutungen und Erzählungen bleiben aber auch immer sehr vage, weshalb man nichts überbewerten darf. Es kann gut sein, dass ein Kind oder Jugendlicher mit solchen Andeutungen auch einfach nur unsere Reaktion austesten will.“
Laut Religionsexperten Ernst Fürlinger gebe es noch wenig empirische Forschung darüber, welche Faktoren bei der Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen tatsächlich eine Rolle spielen. Jedoch kenne er Untersuchungen aus denen hervorgeht, dass „speziell Jugendliche, die ohne religiöse Bildung – vor allem vom Elternhaus her – aufwachsen, in einem höheren Ausmaß für Radikalisierungsprozesse gefährdet sind. Ich interpretiere das so, dass das Vakuum religiöser Verwurzelung und religiösen Wissens leichter von einem sehr vereinfachten, ideologisierten islamischen Glaubenswissen gefüllt werden kann.“ Ein weiterer Aspekt, der in der wissenschaftlichen Literatur genannt wird, dürfte in eigens erlebten Diskriminierungs-Erfahrungen liegen. Diese Erfahrungen möchte man scheinbar mit einer besonders „aggressiven, machtvollen, machohaft auftretenden Islam-Repräsentation ausgleichen“, so Fürlinger.
Diskriminierungs-Erfahrungen
Über eigene Erfahrungen mit Diskriminierung kann auch Nicole Buschenreiter berichten. Die St. Pöltner Gemeinderätin der Grünen konvertierte rund um das Jahr 2000 zum Islam: „Ich hatte keine typisch-österreichische Religionserziehung genossen und bin schon immer eine Anhängerin von einem echten Ethik-Unterricht an den Schulen gewesen. Nachdem ich einen Araber geheiratet und mich während der Ehe mit dem Islam auseinandergesetzt hatte, reifte mit der Zeit der Entschluss zu konvertieren. Nach der Geburt meines Sohnes hab ich mich entschlossen auch ein Kopftuch zu tragen – aus eigener, freier Entscheidung. Ich habe immer gesagt: Wenn ich als Frau das Recht habe mich auszuziehen, dann will ich auch das Recht haben, dass ich mich anziehe, wie ich will. Für meine Familie war das immer okay, sie hatten eher Angst vor den Problemen von außen, die das Kopftuch bringen würde.“ Einige Jahre trug Buschenreiter eine sehr „europäische Form des Kopftuchs. Ich habe ein dickes Fell und bin damit zurechtgekommen, dass man mich angespuckt, beschimpft und auch angegriffen hat. Aber als ich beim Schuleintritt meiner Kinder bemerkt habe, dass mein Kopftuch dazu führt, dass meine Kinder diskriminiert werden, da habe ich es abgelegt. Wäre es nicht gesellschaftlich ein Problem, würde ich heute noch ein Kopftuch tragen.“
Depperte gibt es immer
Generell sei der Islam für Buschenreiter mit dem Kommunismus zu vergleichen: „Eine großartige Idee, das Problem ist halt: es sind dabei Menschen involviert. Die Frau etwa ist im Islam dem Mann nicht untergeordnet. Aber die Religion wird halt von Menschen angewandt und ausgenutzt, um die Macht zu erhalten.“ Von radikalen Strömungen in St. Pölten weiß die Gemeinderätin nichts: „Es gibt keine Fundi-Strömungen, das sind alles total gemäßigte Leute. Der Koran sagt ja nichts anderes als die Bibel: ‚Sei lieb zu den Menschen!‘ Und Depperte gibt es immer und überall, aber die Muslime in St. Pölten, die machen doch nix Seltsames. Nicht jeder, der einen Vollbart trägt, sprengt sich in der nächsten Minute in die Luft. Aber die Leute haben halt Angst vor Dingen, die sie nicht kennen.“
Da ist sie wieder, die Angst. Doch scheinbar unbegründet, sofern man nicht an Vorurteilen und fertigen Denkmustern festhalten möchte. Wir nehmen Enes Pek beim Wort. Er ist Jugendobmann des Islamischen Zentrums in St. Pölten, bis zu 400 Muslime treffen sich dort zum Freitagsgebet, rund 100 Kinder und Jugendliche werden in der Jugendgruppe betreut. Die Villa an der Ecke Matthias Corvinus Straße und Herzogenburger Straße entführt uns schon nach wenigen Augenblicken in eine andere Welt. Es ist ruhig und freundlich, obwohl viele Menschen da sind, ein ständiges Kommen und Gehen. Junge Männer begrüßen uns in perfektem Deutsch, freuen sich sichtbar, dass wir da sind und Interesse an ihnen haben. Sie führen uns durch das Haus, erklären uns die Angebote. Wir trinken Tee und diskutieren über die Welt und das Überirdische, dann tüfteln wir an richtigen Fotoeinstellungen: Wir wollen Einblicke in das Innere der Moschee geben, zugleich sollen die Fotos möglichst authentisch bleiben. Unglaublich offen wird uns der Glaube erklärt, werden uns Prinzipien und Hoffnungen offen gelegt. Ein junger Mann stößt mit seiner kleinen Tochter zu unserer Gruppe. Ein Österreicher. Kein Türke, kein Araber. Er erzählt uns, wie vor einiger Zeit vieles in seinem Leben schief gegangen ist, wie Menschen gestorben sind und er sich gedacht hat, dass das ja wohl nicht einfach nur Zufall sein kann. Gute Gespräche mit Freunden weckten sein Interesse am Islam, heute sitzt er hier, als einer von „denen“, von denen „wir“ so wenig wissen. Obwohl man hier jederzeit vorbeischauen kann und bei einem Glas Tee entdecken, dass hier weder am Kalifat noch an Bomben gebastelt wird, sondern einfach an guten Menschen. Interview ALI FIRAT: "Diskriminierung nimmt zu"
Ali Firat kam 1989 in St. Pölten zur Welt, seine Eltern waren 1971 nach Österreich gezogen. Nach seinem Zivildienst bei den „Kinderfreunden“ gründete er mit 21 Jahren eine neue Ortsgruppe („Neu-Viehofen“). 2011 setzte ihn die SPÖ zwar nur auf ein „Kampfmandat“, aber mit beeindruckenden 695 Vorzugsstimmen rückte er in der Kandidatenliste nach oben und schaffte so den Einzug in St. Pöltens Gemeinderat.
Menschen ziehen freiwillig in den Syrien-Krieg, in Europa steigt die Angst vor politisch motiviertem Terrorismus. Wie geht es vor diesem Hintergrund der islamischen Gemeinschaft in St. Pölten?
Die Community ist sehr gut vernetzt, darum geht es uns auch vergleichsweise gut. Ich bin überzeugt, dass man bei uns nicht wegschauen würde, sollte es Probleme mit radikalen Personen geben – aber bis dato ist mir kein einziger Fall bekannt. Die verschiedenen Vereine pflegen untereinander Freundschaften, wir leben eben nicht in einer absoluten Anonymität, wie dies vielleicht bei Großstädten öfters der Fall ist.
Sehen Sie Fortschritte im Bereich der Integration?
Ja, die gibt es definitiv! Das offizielle Beratungsangebot wurde ausgebaut und es gibt Deutschkurse, die auch angenommen werden. Sprache ist das Um und Auf für erfolgreiche Integration. Auch das eigene Staatssekretariat für Integration hat hier einen wichtigen Beitrag geleistet. Ich glaube, dass heute Probleme auch schon im Kindergarten erkannt werden können. Vieles liegt natürlich in der Verantwortung der Eltern, Erziehung und Bildung sind ein Schlüssel für Integration.
Wo liegen die größten Schwierigkeiten?
Jeder muss sich um Integration bemühen. Leider werden oft Negativbeispiele in der Öffentlichkeit breit diskutiert, das verzerrt die Realität und führt auch dazu, dass sich Menschen ausgegrenzt fühlen und Gefahr laufen sich zu isolieren. Bei dem Punkt muss man auch Diskriminierungsfälle ansprechen, die Integration erschweren. Ich behaupte, dass derartige Fälle zunehmen, die Strafen bei Rassismus werden aber nicht verschärft.
Bei Diskotheken ist es für Betroffene wohl eine große Hürde Schadensersatz einzuklagen.
Natürlich. Aber Diskriminierung gibt es nicht nur im privaten Bereich. Mich ärgern beispielsweise niederösterreichische Landesgesetze, die Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft benachteiligen. Wenn ich beispielsweise an den Familienpass oder den Wohnzuschuss denke, diese Förderungen gibt es nur für Österreicher oder gleichgestellte EU-Bürger. Verwandte von mir, türkische Staatsbürger, die seit Jahren hier leben, arbeiten, brav Steuern zahlen und sich anständig integrieren, erhalten diese Unterstützung aber nicht. Das ist doch unfair und populistisch.
Wie bedeutend ist dieses Thema für Ihre politische Aufgabe und welche Rolle spielt dabei Ihre SPÖ?
Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, meine Großeltern gehörten zu den ersten St. Pöltner Gastarbeitern, Kreisky war schon in meiner Kindheit ein Vorbild. Über die Sozialistische Jugend bin ich zur Politik gekommen, in meiner Kinderfreunde-Ortsgruppe sitzen Menschen aus sechs verschiedenen Nationen im Vorstand – natürlich ist mir Integration und der Kampf gegen Diskriminierung eine Herzensangelegenheit. Ich will in erster Linie für die Bürger dieser Stadt aktiv sein, darum bin ich im Gemeinderat sehr glücklich, auch wenn ich es anfangs wirklich nicht leicht hatte. Interview ENES PEK: "Warum sollte ich nicht integriert sein?"
Welche Rolle spielt der „Islamische Kultur- und Wohlfahrtsverein“ in St. Pölten?
Unser Verein ist seit 1996 in St. Pölten aktiv, in der Jugendgruppe sind wir momentan circa 100 Personen, davon 17 Leute im Vorstand. Im Moment richten wir uns noch primär an Leute mit türkischem Background, auf Dauer möchten wir aber breiter aufgestellt sein. Grundsätzlich geht es uns um eine Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche. Wir wollen ihnen die Prinzipien des Islam vermitteln und dafür sorgen, dass sich unsere Mitglieder mit dem Islam in die österreichische Gesellschaft integrieren.
Wie geht ihr mit den erschreckenden Meldungen über radikalisierte Jugendliche um?
Wir bringen den Leuten den Islam bei. Wer seine Religion kennt, der wird nicht Opfer von Radikalen. Wir wollen erreichen, dass unsere Kinder und Jugendlichen zu nützlichen Menschen in der Gesellschaft werden. Das bedeutet nicht nur eine rein religiöse Ausbildung, wir bieten auch Persönlichkeitsbildung an, haben sehr viele Freizeitangebote. Bei uns kann man plaudern, Tee trinken, Fußball spielen. Es gibt Fernseher, eine Playstation, es ist ein großer Treffpunkt für Menschen. Bei den Kindern und Jugendlichen achten wir auf Altersklassen, damit alle auf ihre Rechnung kommen. Pro Woche gibt es zirka acht Aktivitäten, jeden Tag ist etwas los. Es geht also über einen reinen Religionsunterricht hinaus, wir sind ein Zentrum für Menschen.
Aber die Vermittlung des Korans ist die Grundlage?
Wir wollen in der Gemeinschaft auch den Koran lernen und lehren. Dafür gibt es eigene Klassen, wie bei den Christen in der Schule der Religionsunterricht. Wenn Menschen den Islam kennen, wenn sie den Koran kennen, wenn sie in einer Gemeinschaft integriert sind, dann kommt doch keiner auf die Idee, dass er irgendwohin in den Krieg zieht oder dass er auf die radikale Propaganda hereinfällt.
Wer lehrt denn den Koran?
Anerkannte Rechtsschulen geben die große Linie vor, Religionslehrer und -lehrerinnen vermitteln den Koran. Für die Seelsorge sind die Imame verantwortlich.
Wo werden diese ausgebildet?
In Wien wird derzeit eine Imam-Schule gebaut. Das ist ein langjähriger Wunsch der türkischstämmigen Community, dass wir endlich in Österreich Imame ausbilden können. Ich verstehe, dass es für Österreicher seltsam wirkt, wenn aus dem Ausland ein Imam kommt und predigt – der noch dazu wahrscheinlich gar nicht deutsch spricht. Wir wünschen uns übrigens, dass die Imame in Zukunft deutsch sprechen, weil ja auch in unserer Moschee nicht alle türksich sprechen. Wir haben Bosnier, Afghanen, Araber und auch Österreicher, die zum Islam konvertieren. Deutsch als gemeinsame Sprache macht also Sinn.
Ein ewiges Reizthema ist das Kopftuch. Welche Vorschriften gibt es in Ihrer Gesellschaft?
Die muslimische Frau hat sich laut Koran zu bedecken. Wie sie das handhabt, liegt aber an ihr. Das ist eine Sache der Familie und vor allem der Gläubigen selbst.
Wie würden Sie reagieren, wenn beispielsweise Ihre Schwester kein Kopftuch trägt?
Ich respektiere, wenn eine Frau kein Kopftuch trägt. Es steht uns keinesfalls zu, zu richten. Es ist eine Angelegenheit zwischen ihr und Allah. Wir wissen, dass Menschen nicht perfekt sind, aber man soll sich stets bemühen sein Bestes zu geben und Allah, wenn nötig, um Verzeihung bitten.
Oft hat man als christlich-europäisch geprägter Mensch den Eindruck, dass im Islam alles streng geregelt ist und Zweifel und Widerspruch nicht geduldet werden. Täuscht das?
Sinngemäß heißt es im Koran an einer Stelle: ‚Warum denkt ihr denn nicht?‘ Also ja, der Mensch soll hinterfragen, auch die eigene Ohnmacht. Zweifel mit guter Absicht sind wohl keine Sünde. Im Islam kommt es aber immer sehr auf die Absicht an. Wenn man beispielsweise Solidarität mit Palästinensern ausdrücken will, dann ist der Protest legitim, wenn er gute Absichten hat und auch richtig ausgeübt wird. Aggressive Proteste zum Beispiel könnte ich nicht gutheißen. Viele Leute reduzieren den Islam auf das Kopftuch oder darauf, dass man fünf Mal am Tag betet. Der Islam will aber das ganze Leben regeln, eben einen guten, nützlichen Menschen schaffen. Vielleicht wirken wir darum auch oft fremd. Jedenfalls müssen wir es schaffen, die Vorteile beider Welten und Kulturen zu vereinen. Warum sollte ich etwa nicht in Österreich integriert sein, nur weil ich eine besondere Kultur und eine besonderen Glauben habe?
Oft geht es um Kultur, Wertvorstellungen und Traditionen, die vom Durchschnitt abweichen.
Da fällt mir ein Beispiel ein. Wir hatten damals Maturafeier und eine Dame, wahrscheinlich die Oma einer Klassenkollegin, stand in meiner Nähe. Wir wollten ein Gruppenfoto machen und ich überlegte, wie ich die ältere Dame ansprechen soll, damit sie zu uns aufs Foto kommt. In unserer Kultur spricht man ältere Menschen mit Oma oder Onkel an, das ist eine ehrenvolle Bezeichnung, auch wenn man nicht verwandt ist. Hätte ich die Dame als Oma angesprochen, hätte sie es aber sicher als Beleidigung aufgefasst.
Für mich ist es unerklärlich, dass man von Österreich aus in ein Kriegsland geht um dort Menschen abzuschlachten. Wie erklären Sie sich das?
Ich kann mir das auch nicht erklären. Wer den Islam wirklich kennt, der kann auf solche Fehlinformationen nicht reinfallen. Diesen Leuten fehlt der Glaube. Wenn jemand Dschihad machen will, dann muss er beim eigenen Ego anfangen. Dschihad heißt ja, dass man regelmäßig betet, dass man sich für andere Menschen einsetzt, dass man freiwillig fastet, dass man selbstlos Schwächeren hilft. Aber in den Medien wird der Begriff immer wieder nur mit einem verrückten Krieg gleichgesetzt. Die tägliche Mühe, die wir für unsere Gemeinschaft aufwenden, damit wir zu guten Menschen werden, das ist unser Dschihad. Uns treibt ja nicht Zivilcourage, sondern eine ehrliche Frömmigkeit an. Das ist unser Gebet.
Was sind eure nächsten Ziele?
Wir haben viel erreicht, aber es liegt noch viel vor uns. Wir möchten in den nächsten Jahren wachsen und Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund ansprechen. Durch die Jugendarbeit wachsen wir Jahr für Jahr, diese Erfolge wollen wir gerade im Hinblick auf die gelungene Integration in Zukunft stärker nach außen tragen. Unser Haus steht aber schon heute immer offen, wir freuen uns über Leute, die sich ein Bild über uns machen wollen. Das hilft allen, um Vorurteile abzubauen. Und natürlich gibt’s auch immer was am Gebäude zu reparieren – da wird uns nicht langweilig. Wir finanzieren uns ja nur aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden, und da ist an einem so großen Haus nie alles fertig, wir arbeiten Stück für Stück weiter.