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St. Pöltens gute Seite

"Im System ist genug Geld!"

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2014

Das österreichische Gesundheitswesen ist per Verfassung Aufgabe des Bundes. Wir sprachen mit Bernhard Wurzer, seines Zeichens Generaldirektor Stellvertreter im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, über Grundsäulen des Spitalswesens, Probleme der Finanzierung und kleine Schritte anstelle großer Würfe.

Können Sie vielleicht ganz grob den Aufbau des österreichische Spitalswesens skizzieren.
Die Sozialversicherung ist per Verfassung Bundessache, die Spitäler sind bei den Ländern – daher gibt es auch zehn Krankenanstaltengesetze. Die Sozialversicherung zahlt 30% ihrer Beitragseinnahmen – fast 50% der Krankenhauskosten – in neun Länderfonds ein. Dort zahlen zudem in Niederösterreich die Gemeinden über den NÖKAS Beiträge ein und das Bundesland selbst. Dieser Topf wird jedes Jahr valorisiert, um – so die Vereinbarung – der technischen Entwicklung Rechnung zu tragen. Entsteht ein Abgang, trägt diesen der Rechtsträger.

Genau darum entbrennen zwischen Rechtsträgern und Sozialversicherung aber immer wieder Streitigkeiten, wer sozusagen was zu bezahlen hat – wie funktioniert die Finanzierung prinzipiell?
Bis 1996 war die Krankenanstaltenfinanzierung derart aufgebaut, dass die Sozialversicherung die Verpflegungstage bezahlt hat, also einen bestimmten Beitrag pro Patienten pro Tag. Das hat sich aber zunehmend überholt, weil die Operationen immer teurer wurden, dies aber nicht mehr mit dem Verpflegungsansatz zusammenpasste, denn es konnte, um es plakativ zu machen, sein, dass jemand eine schwere, teure Herz-OP hatte, aber früher wieder aus dem Spital kam, als jemand mit einem Liegegips.
Mit 1997 wurde auf das leistungsbezogene Krankenanstaltsfinanzierungssystem – kurz LKF – umgestellt, wo jede Leistung, jede OP etc. bestimmte Punkte wert ist. Anders ist das mit den Ambulanzleistungen, aber auch sie sind mit den 30% abgegolten. Die Länder suggerieren gerne, dass die Sozialversicherung finanziell am Zug sei, aber es wurde klar festgeschrieben, dass mit der LKF sämtliche Leistungen abgedeckt sind – auch der medizinische Fortschritt.

Gerade die Ambulanzen entwickeln sich aber zu Kos­tentreibern.

Die Länder sagen, die Ambulanzen sind überfüllt. Es gibt eine extreme Steigerung der Frequenzzahlen, diese Ambulanzleistungen würden aber nicht abgedeckt. Die Frequenzen draußen sind aber in den letzten Jahren stärker gestiegen. Die Sozialversicherung wiederum sagt, dass viele Leistungen, die bisher im Spital erbracht wurden einfach hinaus verlagert werden, da reden wir z.B. von präoperativer Diagnostik, Aspekten wie Dialyse u.ä. Die Zahlungen der Sozialversicherung sind aber kontinuierlich gestiegen. Aus diesem Streit heraus ist u. a. die Gesundheitsreform 2013 hervorgegangen. Seit damals sitzen erstmals Bund, Länder und Sozialversicherung gleichberechtigt gemeinsam am Tisch und haben einen Zielsteuerungsvertrag zu Themen wie Finanzierung, Versorgungsstruktur, Versorgungsprozesse und Ergebnisqualität abgesegnet. 12 strategische Ziele und 85 Maßnahmen mit klar definierten Deadlines wurden einstimmig, was Grundvoraussetzung des Prozesses ist, beschlossen und werden laufend evaluiert und per Monitoring begleitet. Auf den ersten Blick hin klingt das vielleicht nicht großartig, tatsächlich ist damit aber erstmals eine völlig neue Form politischen Verwaltungshandelns gelungen.

Wenn Sie in die Zukunft blicken, wie wird sich das Spitalswesen wandeln, was wird passieren?
Ich glaube, dass man den riesigen Apparat auf Dauer nicht wird erhalten können – auch weil es keinen Sinn macht. Ein Spital wie Melk oder Lilienfeld z.B. wird es meinem Empfinden nach in einigen Jahren in dieser Form nicht mehr geben. Vielleicht gibt es eine Station für Akutfälle, aber nicht ein Spital in dieser Großform. Die Wahrheit ist, dass du heute mit dem Hubschrauber aus irgendeinem Tal schneller in St Pölten bist, als wenn du mit der Rettung erst hin fahren musst, den Patienten nach Lilienfeld bringst, und dann muss er aufgrund der Schwere des Falles vielleicht ohnedies weiter nach St. Pölten.

Mit dem Ruf nach Reduzierungen und Schließungen findet man aber keine Freunde.

Ja, aber das System muss sich einfach auf die neuen Realitäten einstellen – die Medizin hat sich gewandelt. Es wird auch noch weiter – und sinnvollerweise – Richtung Spezialisierung gehen. Es muss nicht jedes Spital alles machen. Es ist doch bitte besser, in ein Krankenhaus zu kommen, wo man auf gewisse Dinge spezialisiert ist, die Ärzte in der Sache durch hundertfache OP’s Routine haben, als ich werde in einem Spital operiert, wo man den Eingriff nur einige wenige Male im Jahr macht.
Auch die öffentliche Erwartungshaltung muss sich ändern – die Bürger müssen lernen, dass man mit Bauchweh nicht gleich ins Krankenhaus rennt, sondern zum niedergelassenen Arzt. Und es ist durchaus zumutbar, bei planbaren Routinefällen in ein spezialisiertes Krankenhaus zu fahren – denken wir nur an die Geschichte rund um die Orthopädie in St. Pölten, die aus politischen Gründen unbedingt hier gehalten werden musste. Warum? Das kann in Krems genauso gut abgewickelt werden.

Warum soll in diese Belange aber Bewegung kommen, wenn sie schon jetzt bekämpft werden?

Ganz einfach, weil der Kostendruck irgendwann so hoch werden wird, dass das System in der derzeitigen Form nicht mehr leistbar ist – und dann hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man erhöht die Steuern, was politisch schwer durchsetzbar ist, oder man passt das System an, was auch Sinn macht, denn eines will ich schon festhalten: Im System ist prinzipiell genug Geld vorhanden, es muss nur gelingen, die Fehlsteuerungen und Fehlstrukturen zu überwinden.
Österreich hat doppelt so viele Spitalsbetten pro 1000 Einwohner als der europäische Schnitt. Die Aufenthalte sind viel zu hoch. Wir brauchen mehr Tagesklinische Leistungen. Diese müssen sich aber für den Spitalserhalter auch auszahlen. Ich frage mich auch, wozu ich in vielen Spitälern z.B. ein MRT (Magnetresonanztomographie) habe, das nicht ausgelastet ist, und gleichzeitig läuft ein Gerät im niedergelassen Bereich wie am Fließband.

An einem großen Wurf sind aber bislang noch alle Gesundheitsminister der letzten Jahre gescheitert.

Ja, weil es einerseits um viel Macht geht, zum anderen weil das 1997 eingeführte System auch so extrem verworren ist, dass es keiner mehr aufschnüren möchte. Die Auswirkungen sind nicht absehbar – du drehst an einer Schraube, die Bewegung passiert aber an gänzlich anderer, unerwarteter Stelle. DIE große Gesundheitsreform als Revolution wird es also nicht geben, wir müssen vielmehr versuchen, das System langsam zu drehen – und da liegt der Fokus ja nicht nur auf den Spitälern, sondern auch auf dem niedergelassenen Bereich.

Wo möchte man da ansetzen?
Vor allem beim Primärversorgungssystem, wo wir mit Griechenland europaweit das Schlusslicht bilden – woran in Vergangenheit auch die Sozialversicherung Schuld trug. So wurde der Allgemeinmediziner lange Zeit als Auslaufmodell betrachtet, durch Maßnahmen der Sozialversicherung wurde der Berufsstand regelrecht ausgedünnt – viele Leistungen wurden weggenommen, der Fokus lag zu sehr auf Fachärzten und den Spitälern.

Was soll anders werden?
Wir möchten PHC (Primary Health Care) Teams installieren, die aus einem Allgemeinmediziner, einer Diplom-Krankenschwester und einer Ordinationsassistentin bestehen, die allesamt – so das Ideal – Partner sind und den Betrieb gemeinsam managen. In Holland, England oder auch Deutschland gibt es dazu schon erfolgreiche Beispiele – dadurch kann man viel außerhalb der Krankenhäuser abdecken. Die Krankenschwester macht zum Beispiel die Hausbesuche, nur in notwendigen Fällen kommt der Arzt hinzu. Dadurch sollte schon im niedergelassenen Bereich viel abgefangen und damit die Spitäler entlastet werden.
Auch in der Ausbildung muss sich diese Aufwertung niederschlagen. Aktuell ist der praktische Arzt ja quasi ein Nebenprodukt der Facharztausbildung – jeder Facharzt ist wenn er den Turnus gemacht hat automatisch auch Allgemeinmediziner, selbst wenn er nie eine Praxis geführt hat.
Der neue Ansatz sieht vor, dass es einen neunmonatigen Basisturnus für alle Mediziner gibt, und dann entscheidet man sich entweder für die Facharzt- oder die Allgemeinmediziner-Ausbildung. Zudem möchten wir eine verpflichtende Lehrpraxis einführen, wo die angehenden Allgemeinmediziner schon draußen in einer Ordination mitarbeiten, um auf später vorbereitet zu werden.

Und wie steht es um die Patienten? Wäre es nicht sinnvoll, diese im positiven Sinne zu erziehen, ein Bewusstsein zu schaffen, wann man zum Arzt, wann besser ins Spital geht? Warum passiert da nichts?

Zum Teil, weil einige Ideen ideologisch einfach nicht durchsetzbar sind – da findet man keinen politischen Konsens. Denken Sie etwa an die Ambulanzgebühren, die man total vermurkst hat. Selbst die Schaffung von Anreizsystemen ist politisch nicht mehrheitsfähig. Es würde doch Sinn machen, dass man z.B. die jährliche Ecard-Gebühr von zehn Euro erlässt, wenn ein Patient aktive Vorsorge betreibt.