MFG - Die Stunde der Populisten
Die Stunde der Populisten


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St. Pöltens gute Seite

Die Stunde der Populisten

Text Johannes Reichl
Ausgabe 04/2016
Es ist vielsagend, wenn die 90-jährige Grande Dame Österreichs, Lotte Tobisch, die in behüteten aristokratischen Verhältnissen aufwuchs, dann aber die ganze Wucht und Armut des Krieges erfahren musste, als DEN großen Unterschied zur vermeintlich guten alten Zeit das Sozialnetz Österreichs anführt: „Dass es zum Beispiel so etwas wie die Mindestsicherung gibt, während die Menschen früher einfach ausgesteuert und sich selbst überlassen wurden. Aus. Vorbei. Diese Armut gibt es heute nicht mehr.“
Und es ist nicht minder aussagekräftig, wenn der 88-jährige KZ-Überlebende Erich Finsches bei einem Schulbesuch in St. Pölten die Jugendlichen auffordert: „Glaubt nicht alles, was die Parteien euch sagen. Denkt darüber nach, was sie fordern, was sie versprechen.“
In Krisenzeiten gewinnen Populisten – auch jene in den (neuen) Medien – Oberwasser und sind rasch mit Sündenböcken zur Stelle. Momentan sind Mindestsicherungsbezieher und Flüchtlinge an allem „schuld“, weshalb das, was wir „Sozialstaat“ nennen, zurückgeschraubt werden müsse. Welch Logik!
In all dem aktuellen Krawall, in all der aufgebauschten Hysterie, die so tut, als stünde Österreich knapp vorm Weltuntergang, sollten wir aber eine simple Frage stellen: Warum gibt es den Sozialstaat, von dem Lotte Tobisch spricht, überhaupt? Warum haben unsere Vorfahren, die aus ganz anderen Verhältnissen und Wirklichkeiten kamen, unter großen Entbehrungen und oftmals viel Leid das Konzept der sozialen Marktwirtschaft hervorgebracht? Und – noch wichtiger: Was hat es uns gebracht? Was bringt es uns heute noch? Die schlichte, aber fundamentalste aller Antworten: Sozialen Frieden.
Keine Frage: Dieser Friede hat seinen Preis. Er fußt auf der Idee der Solidarität, welche dem Sozialstaat als wichtigstes Prinzip eingeschrieben ist und jeden in die Pflicht nimmt: Das sehen wir Monat für Monat auf unserem Lohnzettel, wenn wir das Glück haben – und ja, in diesem Sinne ist es ein Glück – Einkommenssteuer zu bezahlen, während andere nicht einmal dafür genug verdienen.
Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Und das aus gutem Grund – denn dort, wo dieses Prinzip der Umverteilung nicht funktioniert, wo aus Kurzsicht, Neid und Gleichgültigkeit die Armut an den Rändern ausfranst, entstehen Biotope der Perspektiven- und Zukunftslosigkeit. Damit aber ein Nährboden für Radikalität und Kriminalität und schlussendlich jener soziale Sprengstoff, der den Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt tatsächlich bedroht. Nicht die Hilfe tut dies, wie uns die Demagogen einreden wollen – sondern ihre Unterlassung!
Und das hat gar nichts damit zu tun, dass wir diese Unterstützung selbstverständlich an Bedingungen knüpfen, dass wir das Gesamtsystem „Sozialstaat“ ständig nachjustieren, reformieren, mitunter kürzen müssen. Aber mit Bedacht. Mit Weitblick. Verantwortungsvoll – und sicher nicht bei den Ärmsten, bei den Mindestischerungsbeziehern oder den anerkannten Schutzbedürftigen. „Die bekommen zu viel“, schreien die Populisten. Und das glauben Sie ihnen wirklich, ganz tief in Ihrem Herzen drin?
Zuletzt – und ja, auch das ist polpulistisch, aber deshalb nicht weniger wahr: Der Hypo-Skandal hat dem Steuerzahl bis jetzt – und leider ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht – fünf Milliarden Euro gekostet. Das ist ein Fünfer mit neun Nullen dran und sieht so aus: 5000000000! Damit könnte etwa die Mindestsicherung in Niederösterreich auf aktuellem Niveau (61 Millionen Euro) für die nächsten 80 Jahre finanziert werden. Wie gesagt, ein Populimus, aber es geht darum, die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren, wenn wir von jenen sprechen, die es sich angeblich „in der sozialen Hängematte gemütlich machen“, welche auf Kosten der anderen „das Schlaraffenland auf Erden genießen“ – mit durchschnittlich, und das wird tatsächlich in Niederösterreich an Mindestsicherung ausbezahlt, 175,5 Euro (und nicht maximalen 837,76).
Erich Finsches hat den Jugendlichen noch eine Botschaft mit auf den Weg gegeben: „Wenn ihr anderen helfen könnt, dann reicht ihnen die Hand.“ Nicht nur um derentwillen, sondern – das sollten wir begreifen – auch um unser selbst und des sozialen Friedens willen.