MFG - der Geist auf der Flasche
der Geist auf der Flasche


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

der Geist auf der Flasche

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2016
So sah sie also aus, die manifest gewordene positive Veränderung des St. Pöltner Selbstbewusstseins in den letzten 10 Jahren: Eine EGGER Bierflasche am Podium der Gesprächsrunde anlässlich 10 Jahre plattform2020 und Stadtentwicklungs GmbH. Wie das? Nun, zum einen wurde dem EGGER-Geschäftsführer bei seinem Antrittsbesuch beim Bürgermeister anno dazumal noch ein „Wieselburger“ kredenzt anstelle der St. Pöltner Marke – heute undenkbar, schon im Rathausfoyer wird stolz auf „unser“ Bier verwiesen. Zum anderen „verheimlichte“ EGGER lange seine Herkunft aus St. Pölten und druckte lieber das unverfängliche Unterradlberg als Abfüllort auf seine Produkte, um ja nicht – wie’s schien – am ehemals negativen Image der Stadt anzustreifen. Aber auch das ist Schnee von gestern. Heute prangt „St. Pölten-Unterradlberg“ auf den Etiketten. Ja, liebe Mitbürger, wir sind eine Braustadt! Was sich also geändert hat, und dafür steht diese Bierflasche so wunderschön symbolisch, ist die Bekenntniskultur zur Stadt, was sich an einer Reihe von Indikatoren ablesen lässt.

Während man zu meiner Jugendzeit etwa auf die Frage „wo kommst du her?“ noch verlegen ein nebuloses „aus der Nähe von Wien“ hervor druckste, weil man sich vom Gegenüber nicht „ah, das is das öde Provinzkaff mit dem Ostblock-Bahnhof, wo‘s beim Vorbeifahren immer nach faulen Eiern riecht“ um die Ohren hauen lassen wollte, tun sich die Kids heute – zurecht – um vieles leichter. Die Stadt hat durch eine vorausschauende Politik in vielem aufgeholt und ist schlicht cooler, urbaner geworden (FH, Seenerlebnis, Szene, Öffis, Schanigärten, KEINE Glanzstoff mehr ...). Daher wird man von Auswärtigen nicht mehr automatisch verbal abgewatscht, sondern erntet immer öfter ein anerkennendes „Ah geil, das ist ja dort, wo’s Frequency und Beatpatrol stattfinden – da war ich letztes Jahr auch.“ Dem Selbstbewusstsein ist das beileibe nicht abträglich.
Auffallend ist auch, dass die Bürger viel selbstinitiativer geworden sind. War früher an allem, was nicht passierte, automatisch die Politik und die böse Stadt schuld – eine sehr bequeme Ausrede für ewige Suderanten, die ohnedies nichts auf die Reihe brachten – nehmen die Bürger heute vieles selbst in die Hand. Die Politik kann sich aktuell etwa noch nicht zu einem Ja oder Nein in Sachen Kulturhauptstadtbewerbung durchringen? Auch gut, dann gehen wir das halt selbst an und entwickeln ein Konzept – wird schon irgendetwas (und das ist positiv gemeint) rauskommen, selbst wenn sich die offiziellen Stellen aus vielleicht nachvollziehbaren und vernünftigen Gründen letztlich gegen eine Bewerbung entscheiden sollten.

Ebenso ist an allen Ecken und Enden ein unglaublicher Pioniergeist zu verspüren. Während anderswo die Großhandelsketten die letzten kleinen Läden killen, sprießen in St. Pölten ebensolche aus dem Boden und machen die Stadt bunter: Kaffeeröster, Suppenmacherinnen, Bio-Läden, Designer, trendige Gastronomiebetriebe, aber auch Spieleclubs, Urban Gardening, Kulturinitiativen – alles made in STP.
St. Pölten ist also, wie es die Agentur Wagner Steinperl so treffend auf den Punkt bringt, ein „geiles Kaff“ geworden! Dass dieser Claim mittlerweile als offizielle Werbebotschaft bei passender Gelegenheit, wie etwa dem Frequency, eingesetzt wird, ist nur ein weiteres Indiz für ein neues, gestiegenes Selbstbewusstsein, das auch selbstironisch mit den eigenen Unzulänglichkeiten spielen kann, die in Wahrheit aber mittlerweile unsere Stärken sind. Zwar gehen manche noch immer reflexartig wie ein Germteig auf, wenn jemand auch nur ansatzweise die Worte „kleinkariert“ oder „Provinz“ in den Mund nimmt, und es kommt auch vor, dass wir bisweilen nach wie vor Marketing mit Propaganda verwechseln und wie eifernde Volksschüler herunterleiern, wie super wir nicht sind, die Größten, die Besten, die Schönsten, die Fittesten – aber parallel dazu macht sich zusehends Gelassenheit breit. Wir wissen, wer wir sind und was wir an uns haben. Und gefällt einem die Stadt nicht, ist sie ihm zu eng, zu spießig, zu kleinkariert – so ist das auch völlig legitim. Das ist nämlich sein Bier, nicht unseres!