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St. Pöltens gute Seite

Mehr Raum für alle!

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2021

Der Zufall mag es, dass ich bei meinem Besuch am SKW 83 Andi Fränzl über den Weg laufe. Nicht, dass Andis Präsenz per se überrascht: Er ist – jedenfalls für Semester meiner Generation – die Ikone von Lames und SKW 83 schlechthin, gilt gemeinsam mit Markus Weidmann-Krieger vom Sonnenpark schon ad personam als „Institution“. Zu einer solchen im eigentlichen Sinne soll nunmehr die gesamte Einrichtung weiterentwickelt werden – federführend unter der Ägide der next generation.

Diese trägt nach außen hin ein weibliches, eigentlich gleich drei weibliche Gesichter: Präsidentin Agnes Peschta, Geschäftsführerin Serena Laker und Schriftführerin Sabina Frei. Gemeinsam mit dem gesamten Vorstand sollen sie das große Ganze, das seit nunmehr über zwei Jahrzehnten am Spratzerner Kirchenweg gedeiht, auf die nächste Ebene hieven, sollen das mit Mythen und Legenden aufgeladene Erbe ein bisschen von der Patina befreien und mit einer gesunden Portion Pragmatismus anreichern, ohne freilich – wie Peschta betont – dabei die Grund-DNA zu zerstören. „Der Verein wird von den Mitgliedern getragen.“

Aus zwei mach eins

Eingeleitet wurde diese Entwicklung wohl spätestens mit dem Pachtvertrag 2018, der das nervenzehrende jahrelange Prekariat, ob man überhaupt am Areal verbleiben darf oder doch einem Wohnbau weichen muss, endgültig beendete. Endgültig deshalb (auch wenn der Pachtvertrag aktuell nur auf zehn Jahre läuft), weil die Einrichtung mit der Berücksichtigung als fixer Spielort im Rahmen des Kulturschwerpunktes 2024 einen weiteren Schub erfuhr an dessen Ende die Transformation zum „öffentlichen Kultur- und Naturzentrum stehen soll.“
Politik und Verwaltung, in gar nicht so grauer Vorzeit – teils zurecht, teils zu unrecht – als Feind und Bedrohung wahrgenommen, sind dafür zu Partnern geworden und machen, wie es Laker im Hinblick auf 2024 formuliert „ein gemeinsames Ding!“ Das Verhältnis ist unverkrampft „und ich habe schon den Eindruck, dass man unsere Arbeit wertschätzt.“ Eine Wahrnehmung, die durch einen Blick auf die schnöden Zahlen bestätigt wird: So erhält die Einrichtung von Stadt, Bund und Land 2021 Förderungen in Höhe von insgesamt über 150.000 Euro.
Zudem wird seitens der öffentlichen Hand kräftig in die Infrastruktur investiert. Insgesamt 400.000 Euro stellen die Fördergeber für die Sanierung der alten Gebäude zur Verfügung, um sie für 2024 fit zu machen. In Nachverhandlungen hofft der Verein noch auf die eine oder andere zusätzliche Finanzspritze, außerdem wird man ab Herbst in eigener Initiative eine Crowdfunding-Aktion starten, um zusätzlich Geld hereinzuspülen. „Wobei wir das auch als Marketing-Tool verstehen, um in der Öffentlichkeit noch bekannter zu werden. 2024 sollen uns alle in der Region kennen“, so Laker.
I’m standing at the crossroads
2024 ist also die große Weggabelung, die schon jetzt mehr als nur einen Schatten voraus wirft, sondern eine grundlegende Neujustierung ausgelöst hat. Diese schlägt sich zum einen augenscheinlich in den bereits begonnenen Sanierungsarbeiten nieder, zum anderen – noch substanzieller – in einer neuen Vereinsstruktur. So sind die beiden bisherigen, am Areal aktiven Vereine Lames und Sonnenpark mit Beginn des Jahres in einem gemeinsamen aufgegangen, der aktuell noch den sperrigen Arbeitstitel „Verein für Kunst, Kultur und Natur am Spratzerner Kirchenweg 81-83“ trägt. Auch hier spielte Pragmatismus eine gewisse Rolle, denn „die Fördergeber verlangten einen einzigen Fördernehmer“, so Laker. Im Grunde genommen habe man damit „aber ohnedies nur das zu einem Ende gebracht, das schon seit geraumer Zeit intern diskutiert wurde“, ergänzt Peschta, und Sabina Frei vergleicht den Schritt „mit einer Eheschließung.“ Zwei Partner, die schon ewig zusammen sind, vieles geteilt, sich ausgetauscht, ergänzt, schlicht miteinander gelebt haben, geben sich das Ja-Wort. Kunst und Ökologie, die beiden großen Hauptstränge, waren am SKW 83 immer schon zwei Seiten einer Medaille, nie zwei gänzlich voneinander getrennte. „Die neue Struktur führt das Beste aus beiden Welten zusammen“, bringt es Peschta auf den Punkt und beißt sich im nächsten Moment lachend auf die Zunge, weil sie doch glatt Regierungssprech übernommen hat. Aber es trifft die Sache ganz gut.
Dass freilich in einer Community, die in ihrem Selbstverständnis seit jeher für das Autonome, das Freie, bisweilen in den Anfangsjahren auch das Chaotisch-Anarchistische stand, ein derartiger Schritt nicht nur Jubelchöre auslöst, liegt auch auf der Hand. „Natürlich gibt es auch Gegenstimmen, die diese Institutionalisierung abschreckt“, räumt Peschta ein, letztlich gehe es aber um eine Weiterentwicklung, den berühmten next step, „und der Grundgeist bleibt ja derselbe. Es steckt viel Altes im Neuen!“
We are familiy
Leicht hat man sich die Fusion ohnedies nicht gemacht, sondern dafür einen integrativen Prozess aufgesetzt und diesen sogar professionell begleiten lassen. Bezeichnenderweise von einer Agentur, die auf die Übergabe von Familienbetrieben spezialisiert ist, wenn also der Altbauer an die Jungen übergibt.
Herausgekommen ist dabei eine Art Hybrid. Dem Verein als solchem, der nach wie vor die Seele und den kreativen Motor bildet, wurde eine professionelle Organisationsstruktur beigestellt. Für die drei Frauen eine enorme Weiterentwicklung „weil wir dadurch professioneller, strukturierter, effizienter werden. Es gibt jetzt einen klaren Plan, wo wir hinwollen.“ Das bringe nicht nur mehr Struktur, sondern für die Vereinsmitglieder im Umkehrschluss – so die Grundintention – auch wieder mehr Zeit fürs Wesentliche, „dass die Ehrenamtlichen nämlich ihrer Kreativität, ihren Projekten nachgehen können“ und sich im Umkehrschluss nicht mit administrativem Geschäftskram herumschlagen müssen. Überspitzt formuliert: Welcher Kleber gekauft wird – Uhu-Stick oder Uhu flüssig – bedarf in Hinkunft keiner elendslangen basisdemokratischen Grundsatzdiskussionen mehr, sondern darf ruhig von der Geschäftsführerin direkt entschieden werden. Zugleich gibt es Materien, wie Peschta betont, „die natürlich nach wie vor basisdemokratisch und von allen mitgetragen und beantwortet werden müssen, wenn wir etwa an den neuen Namen für den Verein denken.“
Die Programmierung der Einrichtung wiederum erfolgt in Hinkunft nach einem Kuratorensystem. Für die künstlerischen Belange ist Andi Fränzl zuständig, den Bereich Ökologie übernimmt Markus Weidmann. Daneben bleibt die Grundidee des SKW 83 als Freiraum für Kreativität selbstredend unangetastet. „Es gibt also quasi das Geplante, das Organisierte auf der einen Seite, und das Spontane, Tagesaktuelle auf der anderen“, erläutert Laker.
Selbstverständlich hat man den Transformationsprozess auch nicht ins Blaue hinein begonnen, sondern sich im Vorfeld mit zahlreichen vergleichbaren Einrichtungen, die den Schritt von der „Graswurzelbewegung“ hin zur öffentlichen Institution schon vollzogen haben, ausgetauscht. So besuchten die Vereinsverantwortlichen u. a. das Wiener WUK, die ARGE Salzburg, RÖDA in Steyr oder „Die Bäckerei“ Innsbruck. Und man möchte sich in Hinkunft auch noch stärker mit anderen Institutionen vernetzen, strebt etwa die Mitgliedschaft im Kulturzentrumsnetzwerk Trans Europe Halles an. Laker und Fränzl haben bereits im Herbst 2019 als Gäste an einem Treffen teilgenommen und waren danach regelrecht enthusiasmiert, „weil wir gesehen haben, dass wir nicht allein sind, sondern dass es in ganz Europa Einrichtungen wie unsere gibt, Menschen, die ähnlich ticken!“
Versuchslabor in Echtzeit
Und es ist viel und bunt, was am SKW „gemacht“ wird. Im Grunde wähnt man sich – abgesehen vom kreativen Zauberraum, der sich in einer ganz eigenen Aura und Ästhetik am Areal niederschlägt – immer auch ein bisschen wie in einem Versuchslabor, wo die große Welt im Kleinen Probe hält. Damit lag man im Übrigen voll auf der Wellenlänge der St. Pöltner Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2024, die genau diesen Labor-Ansatz als programmatischen Grundgestus formulierte – die Berücksichtigung des SKW als Spielort 2024 war da nur eine logische Folge. Themen wie Gleichberechtigung, Diversität, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Integration, Inklusion, Kunst sind hier keine Schlagworte, sondern gelebte Realität. Im Vorstand hat man aktuell ein 50:50 Geschlechterverhältnis und im Booking hat man eine diesbezügliche Quote sogar fix festgeschrieben.
Nachhaltigkeit schlägt sich in engagierten Schienen wie etwa Food­sharing, im Zuge dessen Essen – bevor es im Mistkübel landet – anderen zur Verfügung gestellt wird, ebenso nieder wie augenfällig auch im Zuge der Gebäudesanierung. Die Ziegel einer eingerissenen Wand sind feinsäuberlich im Garten gestapelt und warten ebenso auf Wiederverwertung wie die zu kleinen, nummerierten Paketen geschnürten Parkettschindeln, die danach wieder verlegt werden. „Wir verstehen uns in keiner Weise parteipolitisch“, betont Peschta, „aber gesellschaftspolitisch werden wir uns immer positionieren!“
Die Einrichtung selbst ist gewachsener Beweis für diesen Ansatz. Beim Rundgang durchs gut vier Hektar große Areal kommen wir etwa am Klimaforschungslabor vorbei, wo Schülern und Interessierten das Zusammenwirken von Klima und Gesellschaft näher gebracht wird. Wir stoßen auf zwei Gemeinschaftsgärten, die von rund 40 Personen bzw. Institutionen bewirtschaftet werden, die so bunt sind wie die verschiedenen Zäune um die jeweiligen Beete herum. Viele Gärten dienen dabei nicht allein dem Ziehen von Gemüse für den Privatgebrauch, sondern beispielsweise auch der Integration, wenn man etwa an das interkulturelle Gemeinschaftsgartenprojekt GRUND denkt. Es geht weiter vorbei an einem Pilze-Keller, wo man Pilze züchten wird, an hoch aufgestapeltem Schnittholz, das im Winter zum Zuheizen verwendet wird, am Kühlschrank des Foodsharing-Projektes oder an einer zur Bibliothek umfunktionierten alten Telefonzelle.  Schließlich stehen wir vor den Containern des mobilen Stadtlabors, das von Wien – wo es u. a. am Karlsplatz sowie in St. Marx als Forschungsstätte für TU-Stunden fungierte – auf den SKW 83 gezogen ist und zusätzlichen neuen Spielraum bietet. Zum einen wird es für die Zeit der Sanierung der Hauptgebäude Büros beheimaten, zum anderen besticht es etwa mit einem Saal samt Leinwand, der sich nach oben hin zu einer Galerie öffnet, wo man sich schon gut DJs bei der Arbeit vorstellen kann. Aber auch Atelierräume stehen zur Verfügung und warten auf Nutzung.
Neue Möglichkeiten
Solche bilden auch das Rückgrat des Gebäudes SKW Nr. 81, wo vor allem die bildende Kunst zuhause ist. Hier wird gerade der große Saal neu adaptiert, der manch Ausstellung beherbergen wird. Im hinteren Gebäudeteil schließen sich mehrere Werkstätten an, „wo man jeweils verschiedene Materialien und Werkzeuge findet und sich ausprobieren kann“, wie Sabina Frei erläutert. Im Übrigen auch gerne ganz kunstlos, etwa um einen Patschen zu picken. Im Erdgeschoss ist weiters eine Gemeinschaftsküche, während im oberen Stockwerk aktuell die Räume so adaptiert werden, dass sie als Herberge für artists in residence fungieren könnten, die über einen längeren Zeitraum am SKW künstlerisch tätig sind. Last but not least werden auch neue Sanitäranlagen geschaffen.
Das benachbarte Maison Musique wiederum wird nicht nur wie bislang Ort spannender Clubnächte und Musiksessions im legendären schwarzen Raum sein, sondern erhält zusätzlich ein Soundlab, wo sich Musiker vernetzen können. Außerdem werden – ewiges Dauerthema in St. Pölten – zwei Proberäume geschaffen, was vor allem im Hinblick auf „Blutauffrischung“ hilfreich sein könnte, denn am SKW kämpft man wie andere Vereine mit Nachwuchssorgen. „Die Jungen müssen wir aber letztlich über das Angebot erreichen“, ist Laker überzeugt.
Und dieses verspricht in Hinkunft noch umfangreicher zu werden. Tatsächlich wird das Areal im Endausbau gleich über vier Säle verfügen, die für Ausstellungen, Clubbings, DJ-Workshops, Filmaufführungen, Theater und dergleichen mehr ebenso prädestiniert sind wie für Yoga, Tanz, Babybrunch, Diskussionen und was sonst noch so alles an kreativem Output entwickelt wird. Zwar braucht man das Rad am SKW beileibe nicht neu erfinden – viele Formate, die bereits funktionieren und Tradition sind, werden fortgeführt – aber durch den Umbau ergeben sich einfach neue, zusätzliche Möglichkeiten, „weil die adaptierten Räume dann auch anders bespielt werden können.“ Im Grundgedanken bleibt man sich aber treu, wie Frei betont: „Das ist ein Ort, wo man herkommt und kreativ sein kann!“ Nur der Radius wird sozusagen weiter gezogen, „weil hier Kreative aus St. Pölten und der gesamten Region eine Heimat finden sollen.“ Eine Heimat, die in ihrem Selbstverständnis als öffentliches Kultur- und Naturzentrum am Ende des Tages dann vor allem eines bieten wird, wie es Peschta abschließend auf den Punkt bringt: „Mehr Raum für alle!“