MFG - 1968
1968


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

1968

Text Johannes Reichl
Ausgabe 12/2008

Das Gedenkjahr neigt sich dem Ende zu. Was tauchen da nicht für Assoziationen auf: Studentenkrawalle, lange Haare, Drogen, freie Liebe. Mythos oder Wahrheit? Und wie lief 68 in einem kleinen Provinzstädtchen unter der Dunstglocke eines reaktionären Alpenländchens wie Österreich ab? Wir sprachen mit einem, der’s wissen muss und in town als einer d e r 68’er gehandelt wird: Edwin „Didi“ Prochaska.

Sind Sie ein „68’er“?
Ich als Jahrgang 1950 war 1968 demnach 18 und somit mitten drinnen im Geschehen. Also, so ganz mitten drinnen dann doch nicht. Denn bei den echten Freaks war ich eine Randerscheinung, weil ich ja immer gearbeitet habe, also ein Bein in der Gesellschaft hatte, die wir gerade attackierten. Der etablierten Gesellschaft war ich auch suspekt, weil ich ja viel zu viel Freak war. Damals bin ich zwischen die Gesellschaften geraten und es hat mir dort zu gefallen begonnen. Das hat mein Leben geprägt, denn da befinde ich mich ja heute noch…
Was fällt Ihnen ad hoc zu 68 ein?
Es hat mich früher immer mächtig genervt, wenn mein Großvater einen Satz mit „vor 30 Jahren…“ begann! Und jetzt schau ich zurück und stelle fest, dass Woodstock vor 40 Jahren war. Für die Jungen heute vermutlich Steinzeit… Aber „Rock´n Roll Will Never Die“ hat sich bewahrheitet. Und auch die Prognosen der vielgeschmähten Hippies: Konsumwahnsinn, Umweltverschmutzung, Kriege. Alles eingetroffen…
Heut gibt es Unmengen an Büchern und Filmen über diese Zeit und ebenso viele Zugänge und Sichtweisen. Die politische, die gesellschaftsverändernde, Vietnam, Rockmusik – die völlig neu war – Drogen, lange Haare, Indientrips, Aussteiger, Demonstrationen…
Aber war das nicht etwas sehr Entferntes hier im Provinzstädtchen?
Wie sang Heli Deinboek so treffend: „In Irland werfens echte, bei uns nur Schweden-Bomben“. Ja, so wars! Die Freak-Szene beschränkte sich auf ein paar Handvoll Gammler und Hippies, allen voran „Schak-Schanda“ und „Zuzi“ Zulechner, dahinter wir Jungen. Willi L. wurde mit Haaren bis zu den Ohren als „erster Hippie in St. Pölten“ in der NÖN abgelichtet und das Haschisch kauften wir mühsam in Wien – dafür gabs viele Sorten und für heutige Verhältnisse echten Bio-Shit! Die ersten Underground-Lokale entstanden. Der „Beat Keller“ unter der Franziskanerkirche beispielsweise, die „goldene Kugel“, dort wo heute der „Hofer“ in der Wienerstraße beheimatet ist und später der legendäre “Stern“ neben dem Landestheater. Und der „Mikesa“!
68 light quasi? Rockmusik in Lokalen anstatt Straßenschlachten?
Was wirklich abging, sahen wir erst, wenn wir Trips nach London - alles andere als so einfach wie heutzutage - München, Amsterdam oder Paris unternahmen, dorthin also, wo die „Hardcoreszene“ daheim war. Ehrlich gesagt – das war mir „too much“. Die Kommunen, Drogen, fast gesellschaftliche Kriegszustände. Da war Freak sein in St. Pölten einfacher. „Wind Cries Mary“ am Traisenstrand auf der 12-Saitigen an Sommerabenden und ein Joint…
War die Szene in STP dann überhaupt eine, also auch im revolutionären Sinne, oder war sie nur pseudo?
Eine Szene gab es definitiv! Ein paar Hundert werdens schon gewesen sein, in allen Abstufungen – von hardcore bis „a bissl Freak sein“. Pseudo war sie sicher nicht, wenngleich natürlich die harten Aktionen nicht grad in STP stattgefunden haben. Aber es war schon Überzeugung dahinter, und es gab auch in dem Sinn echte Revoluzzer, einen harten Kern, wobei der aber meist schon sehr drogenverseucht war. Wir haben uns auch angelegt. Vieles, was heute etwa am Konzertsektor selbstverständlich ist, haben wir GEGEN den Willen der Stadt und jenen der Polizei durchgeführt. Wir waren Außenseiter, wie man sich das heute kaum vorstellen kann: „Ihr ghörts ins Arbeitslager!“ und so Sprüche sind gefallen, Lokalverbote wurden ausgesprochen, und dass einem vor die Füße gespuckt wurde, war alltäglich – überall gabs also Brösl.
Was würden Sie heute als die großen Errungenschaften der 68’er bezeichnen?
Na ja, das Sexthema wurde eindeutig enttabuisiert, und Individualität ist auch nicht mehr automatisch mit Außenseitertum gleichgesetzt worden.
„Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, war so ein Leitspruch. Aber es war noch viel Krampf dabei, da ja die alten Prägungen nach wie vor vorhanden waren. Aber es war sicher der Beginn eines klareren, bewussteren Umgangs, wenn auch viel Mist dabei war. Es wurde halt viel experimentiert, aber wirklich damit umgehen konnten die wenigsten. Und letztlich lief’s dann doch immer wieder irgendwie auf die gute alte Zweierbeziehung raus.
Wie stand es um die Rolle der Frau? Rückten diese damit nicht mehr ins Zentrum?
Na ja, es war der Beginn der Emanzipationsbewegung, wenngleich damals noch auf der falschen, missverstandenen Ebene – Stichwort Alice Schwarzer – das heißt Frau wollte wie Mann sein. Erst später hat man erkannt, dass Frau auch Frau bleiben sollte. Es war halt eine große Verwirrung.
Nahm man „68“ damals überhaupt bewusst als Bewegung wahr?
Man merkte schon, dass etwas in Bewegung ist, aber dass es DEN Stellenwert bekommt, den es heute einnimmt, wusste man natürlich nicht. Man war einfach auf der Suche nach neuen Gesellschaftsformen damals. Logo, dass auch Schmarrn dabei war, wenn ich etwa an die Kommunen denke. Und die 68’er waren an sich nicht so homogen, wie man das heut vermittelt. Man muss unterscheiden zwischen den politischen Aktivisten, den Gammlern, den Hippies, den Rockern – da gabs schon deutliche Interessens- und Prioritätenunterschiede.
Was wurde aus den 68’ern?
Viele haben sich ohne Zweifel auf die Seite der Erfolgsgeneration geschlagen. Manche haben eine Zwischenform gefunden – so wie ich zum Beispiel – und viele sind sozial auf der Strecke geblieben. Eines muss ich sagen: Ich bin froh, damals nicht abgestürzt zu sein so wie viele andere aus dieser Szenerie. Denn harmlos war sie nicht, wie wir heute wissen…